Die Maquilas, die Weltmarktfabriken, sind eine der zweifelhaften Haupteinnahmequellen vieler Einwohnerinnen und Einwohner von Ciudad Juárez
Seit den 1970er Jahren eröffneten internationale Firmen ihre Fabriken, Maquilas oder auch Maquiladoras genannt, an der nördlichen Grenze Mexikos, in unmittelbarer Nähe zu den USA. Mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA im Jahr 1994 hat sich die Verbreitung dieser Arbeitsstätten verdichtet. Ciudad Juárez mit der Grenze zu El Paso/Texas ist dabei ein strategisch wichtiger Standort. So rollen hier nachts lange Güterzüge durch das Zentrum nur einige hundert Meter weiter in die USA. Die Warenwege sind kurz und zollfrei, die Löhne niedrig, die Arbeitsbedingungen prekär. Das Positive, die Entstehung neuer Arbeitsplätze, sorgte zum einen dafür, dass hunderttausende Menschen aus dem Süden Mexikos und anderen lateinamerikanischen Ländern in die Stadt kamen, um Lohnarbeit zu finden und zum anderen dafür, dass Frauen selbstständig Geld verdienen und ein Stück weit unabhängiger leben konnten. Die Stadt wuchs, die Vororte mit schlechter Infrastruktur und schwierigen Lebensbedingungen entstanden und insbesondere in diesen armen Stadtteilen stellen diese Produktionsstätten mit langen Anfahrtswegen, ohne Aufstiegschancen, Betriebsräte oder Gewerkschaften für viele Menschen die Haupteinnahmequelle dar. Die Infrastruktur scheint vorwiegend für diesen Industriezweig, also die Wirtschaft geschaffen und nicht für die Menschen, die hier leben. Unzählige Busse mit der Aufschrift „Transporte Personal“, Personaltransport, durchqueren Ciudad Juárez, um die Arbeiterinnen und Arbeiter in die Maquilas zu bringen und von dort aus nach der Schicht wieder abzuholen. Die Maquilas sind also ein Phänomen, welches jeder eindimensionalen Betrachtungsweise entbehrt. So gibt es neben all der berechtigten Kritik an diesem System auch beispielsweise Maquilaarbeiterinnen, die stolz auf ihre gewonnene Eigenständigkeit sind. Mit diesem Wissen im Hinterkopf lassen wir uns durch eine Maquila führen. Uns wird ein sauberes Arbeitsambiente vorgeführt mit freundlich lächelnden Arbeiterinnen und Arbeitern, die zu selbstgewählter Musik an ihren Stationen im Akkord immer gleiche Abläufe wiederholen. Dabei stehen sie auf Gummimatten, eine Verbesserung gegenüber dem stundenlangen Stehen auf dem blanken Betonboden. Zur Stärkung der kollegialen Gruppenstruktur gibt es an jedem Arbeitsplatz einen Aufsteller mit dem Teamnamen. Hier arbeiten beispielsweise die „halcones“, die Falken, die „tigres“, die Tiger oder die „troyanos“, die Trojaner. Es gibt kostenloses Wifi für die Angestellten. Wie es scheint, sind die Bedingungen hier besser als an anderen Orten. Zudem ist die überschaubare Produktionshalle die einzige dieser Firma. Die Betriebskantine hält ein kostenloses Mittagessen bereit, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Administration nicht essen wollen. Nach der Geburt eines Kindes bekommen Frauen fünf Tage bezahlten Urlaub, der Lohn liegt über dem Mindestlohn (welcher allerdings so gering ist, dass er nicht schwer zu überbieten ist und zum Überleben kaum ausreicht). Hier wird in zwei Schichten fünf Tage die Woche gearbeitet. Nacht- und Wochenendschichten gibt es nur bei hohem Produktionsbedarf und diese werden dann umso höher entlohnt. Der Rundgang lässt viele Fragen offen. Eine grundlegende: Wie repräsentativ ist diese Maquila für die Arbeitsstruktur im Allgemeinen? Dass dies selbstverständlich nur ein oberflächlicher Eindruck ist und die Bedingungen der Maquilaarbeit wesentlich differenzierter und tiefgründiger zu betrachten sind, liegt auf der Hand. Einen fundierten und kritischen Einblick in die Realität der Arbeit in den Weltmarktfabriken stellt beispielsweise Elpidia García Delgado dar. Sie lebt in Ciudad Juárez und hat selbst mehr als 30 Jahre in einer solchen Fabrik gearbeitet. Nachdem sie 2001 ihren Arbeitsplatz verloren hat, beginnt sie den Blog „Maquilas que Matan“, zu deutsch Maquilas, die töten, zu schreiben (maquilasquematan.blogspot.mx). Sie verarbeitet ihre Erfahrungen in literarischer Form, wie u. a. in ihrem 2014 erschienenen Buch „Ellos saben si soy o no soy“ (Sie wissen, ob ich bin oder nicht bin).
Blog von Elpidia García Delgado: maquilasquematan.blogspot.mx