Text und Fotos: Maria Lisa Pichler
25.09.
Um uns die Situation der Migrant_innen und die Verhältnisse an den Außengrenzen des Wirtschaftsblocks NAFTA besser zu veranschaulichen, fahren wir heute in die beiden Grenzstädte Ciudad Hidalgo (Mexiko) und Tecún Umán (Guatemala). Dort wollen wir Mitarbeiterinnen der Hermanas Oblatas treffen. Ein gutes Beispiel für progressive Kirchenarbeit: Sie haben das Casa de Mujer ins Leben gerufen, ein Ort, der Frauen, die in der Prostitution arbeiten, unterstützt und lokalen Frauen Ausbildungsmöglichkeiten gibt.
Ciudad Hidalgo macht auf uns einen ganz anderen Eindruck als Tapachula. Die Stimmung wirkt sehr angespannt.
Hier treffen wir uns kurz mit Padre Tacho, dem lokalen Priester. Er plant eine Migrant_innenherberge für die zahlreichen Menschen, für die der Grenzübertritt nach Mexiko eine weitere Station auf ihrer Reise nach Norden ist. Gefahren für die Migrant_innen gibt es hier genug: Oft werden sie z.B. von Flößern oder Fahrradrikschafahrern erpresst oder ausgeraubt.
An der Südgrenze, so scheint es uns, geht es weniger um Kontrolle als um ein scheinbares Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung. Im Gegensatz zur Nordgrenze Mexikos ist die Südgrenze offen. Die Situation ist absurd – ein paar hundert Meter neben der offiziellen Grenzbrücke, die von bewaffneten Soldaten bewacht wird, führen Flößer Menschen und Waren mit Booten aus alten LKW-Reifen über den Grenzfluss Suchiate. Beide Städte leben vom wechselseitigen Handel, auf beiden Seiten des Flusses stehen Lagerhäuser. Wenn in Mexiko gerade etwas billiger zu kaufen ist, wird es mit den Flößen auf die andere Seite geschifft. Wir entscheiden uns für die abenteuerliche Variante, die auch die Migrant_innen aus Zentralamerika nutzen, um nach Mexiko einzureisen. 10 Pesos, umgerechnet 50 Cent kostet die Überfahrt auf den wackligen Booten, wir zahlen natürlich, wie so oft in Mexiko, das Doppelte. Trotzdem schaffen wir es, trocken auf die andere Seite nach Guatemala zu kommen.
Als wir uns an die Hitze gewöhnt haben, geht’s gleich weiter ins Casa de Mujer. Die Stimmung in der Grenzstadt Tecún Umán wirkt aggressiv, viel mehr noch als in Ciudad Hidalgo. Das Haus der Hermanas Oblatas wirkt darin wie eine grüne Oase. Verborgen hinter Stacheldraht und Hochsicherheitszaun bieten die Hermanas hier Frauen die Möglichkeit, Schutz zu suchen. Hierher können Sexarbeiter_innen kommen, wenn sie Probleme haben oder aus der Prostitution aussteigen wollen. Generell besteht hier für Frauen aus Tecún Umán die Möglichkeit, im hauseigenen Ausbildungszentrum Berufe zu erlernen.
Die Hermanas gehen in die zahlreichen Bars und Nachtclubs in Tecún Umán, um Kontakt mit den Sexarbeiter_innen herzustellen. Diese sind meistens Migrant_innen aus Zentralamerika, die auf ihrer Reise nach Norden an der Grenze hängen bleiben oder in der Hoffnung kommen, Geld an ihre Familie schicken zu können. Meistens arbeiten die Frauen nicht freiwillig. Viele werden von Menschenhändler_innen an die Besitzer_innen der Nachtclubs verkauft und so gezwungen, in der Prostitution zu arbeiten. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Barbesitzer_innen häufig um Frauen handelt. Nach unserem Gespräch nehmen die Hermanas uns mit in das Bordellviertel. Danach machen wir uns auf den Rückweg über den Grenzfluss und fahren im strömenden Regen nach Hause.
30. 09.
Juán de Díos,ein Journalist aus der Region nimmt uns gemeinsam mit seiner Freundin Mari, die auch als Journalistin arbeitet, mit auf den „basurero“, die Müllkippe von Tapachula. Hier führen meist zentralamerikanische Migrant_innen die Arbeiten aus, die niemand gerne macht: Sie halten die Müllkippe in Stand.
Nur ein unscheinbares Schild an der Landstraße weist uns den Weg zum basurero. Doch bald verrät der Gestank, wo es hingeht. Kinder und Frauen in Flip Flops kommen uns entgegen. Sie tragen am Rücken, was sich vom Müll noch verkaufen lässt. Der Gestank wird schlimmer, schließlich sehen wir Aasgeier über den Bäumen kreisen und sind auf dem basurero angekommen. 42 Hektor ist er groß und hier wird alles entsorgt, was in Tapachula und Umgebung nicht mehr gebraucht wird. 120 Familien arbeiten hier konstant, dazu kommen noch Tagelöhner_innen, die momentan eher in Guatemala arbeiten, weil dort gerade die Kaffeeernte beginnt. Kinder sitzen am Wegrand, suchen sich Spielsachen aus dem Müll und winken, als wir vorbeikommen. Schweine, Hunde und Aasgeier wühlen im Müll. Wegen dem beißenden Geruch und dem vielen Dreck werden wir mit Mundschutz versorgt und bekommen Plastiksäcke die wir über unsere Schuhe ziehen sollen.
Der Boden ist vom Regen aufgeweicht. Wir bahnen uns den Weg durch die teilweise metertiefen Dreckpfützen, um uns die Situation auf der Müllkippe vor Augen zu führen. Organischer wie anorganischer Müll wird hier entsorgt, von Krankenhausabfällen bis zum Thunfischkopf findet man hier alles. Dazwischen arbeiten Menschen in den miesesten Bedingungen, die man sich überhaupt vorstellen kann:
Für umgerechnet zwei bis drei Euro am Tag stehen sie bei beißendem Gestank und stechender Hitze 12 Stunden pro Tag im Müll und sortieren Sachen aus, die sich noch verkaufen lassen.
Neben der Müllkippe sehen wir die Lager, in denen die Arbeiter_innen leben.154 Kinder leben hier, nur 10 davon gehen zur Schule. Nach zwei Stunden auf der Müllkippe fahren wir wieder nach Hause. Zum Abschied sagen uns die Arbeiter_innen, wir sollen doch mal wiederkommen.