Politische Reise nach Reykjavik
ca. 2. bis 13. September 2004
Als ein traditionell liberales Land mit hohem Bildungsstandard hat es immer eine kleine Rolle im europäischen Zusammenhang gespielt. Island hat weder eine eigene Armee oder eigene militärische Einrichtungen, noch einen Geheimdienst. Die Grundrechtsfragen, die sich aus technologischen Entwicklungen im Bereich der Biomedizin ergeben, stellen sich also in einem anderen Kontext als in der bundesdeutschen Gesellschaft: Die Bevölkerung ist nicht gleich misstrauisch, dass ein Gesetz ihre Persönlichkeitsrechte einschränken könnte, da es in Island bislang keine vergleichbaren Gesetze gab oder gibt (wie z.B. die Debatten in Deutschland zum großen Lauschangriff und der Unverletzlichkeit der Wohnung), welche die Frage nach Grundrechten so sehr stellen wie die Frage nach der Offenlegung der eigenen Familien-, Krankheits- und Abstammungsgeschichte. Gemeinsam mit der isländischen NGO „Mannvernd“ www.mannvernd.is wollen wir uns in Island mit aktuellen Entwicklungen der Gentechnologie auseinandersetzen, mit einem besonderen Schwerpunkt zu Patentrechten auf Leben.
Island ist aufgrund seiner Abgeschiedenheit und seiner recht dünnen Besiedlung ein ideales Forschungsgebiet für alle möglichen Biotechnologien, da die Genstämme der Bevölkerung nicht „vermischt“ wurden und relativ homogen geblieben sind. Die Forschungsprojekte erhoffen sich, dass Erbkrankheiten auf den DNA-Strängen relativ einfach lokalisierbar sind. Decode Genetic, ein großes biotechnologisches Unternehmen, hatte 2001 für Furore gesorgt, als sie die Forschungsrechte über die gesamte isländische Bevölkerung patentieren ließen. Die isländische Regierung sicherte den Zugriff für Decode Genetic auf die Krankenakten ab. Verträge mit Hofmann-La Roche über auf dieser Grundlage entwickelte pharmazeutische Produkte sind ebenfalls schon abgeschlossen.
Erst im Dezember 2003 entschied der höchste Gerichtshof in Island, dass das Gesetz „Act on Biobanks“ (2000) nicht verfassungskonform sei, da es die Privatsphäre Verstorbener (nachträglich) verletze, und die Verschlüsselung der Daten nicht ausreichend sei.
Wir schlagen vor, folgenden Fragen nachzugehen:
— Wie sieht dieses Forschungsprojekt genau aus? Wie wirbt Decode Genetic für das Projekt? Kann man sich dem Forschungsprojekt verweigern? Wie sehen Datenschutzbestimmungen und Krankenversicherungssystem aus?
— Gentechnik als Standortfaktor: Warum gab es kaum Widerstand in der Bevölkerung? Und aus welcher Ecke wurden Bedenken geäußert? Welche Formen des Widerstandes gab es?
— Wie werden die IsländerInnen, die sich bislang gesund fühlen und bei denen nun die Erbanlage für eine Krankheit entdeckt wird, weiterhin betreut? Wie verändern sich Gesundheits- und Krankheitsbegriff in einer Gesellschaft?
— Wenn durch die Untersuchung von Gensträngen herauskommt, dass die soziale und biologische Vaterschaft nicht dieselbe ist, was geschieht dann? Verändert sich die Sozialstruktur und/oder die Familien-Modelle?
— Inwiefern kann es gerechtfertigt sein, einem privaten Unternehmen Einblick in die Gene der Bevölkerung zu gewähren? Wie verhalten sich rechtsstaatliche Zusicherungen der Privatsphäre zu dem Recht der Freiheit von Wissenschaft und Forschung?
Unser Hauptanliegen liegt in einer Sensibilisierung für das Wechselspiel der Definition von Gesundheit und Krankheit und genetischen Formen der Diskriminierung.
Durch gentechnologische Diagnoseverfahren verändert sich der Gesundheitsbegriff von einer Definition der Abwesenheit von Krankheit und Schmerz, wie ihn die Weltgesundheitsorganisation vorgenommen hat, zur Gesundheit als Abwesenheit von genetischen Dispositionen. Die Feststellung einer Krankheitsveranlagung oder eines genetischen „Defekts“ führt ohne das genaue Wissen darum, ob und wann diese Krankheit ausbricht, zu einer Krankheitsdiagnose. Durch die Einführung von Bevölkerungs-Screenings oder durch die Zunahme individueller Gentests verändert sich die Vorstellung von Krankheit und Gesundheit in einer Gesellschaft. Verändert ein zu idealisierter Gesundheitsbegriff die Situation von Kranken und Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft, die der Norm zum gesunden und leistungsfähigen Körper nicht entsprechen?
Teilnahmebeitrag: Voraussichtlich ca. 700-800 Euro. Darin enthalten sind Vorbereitungsseminar und -reader, Flug und Transfer zum Flughafen, Unterkunft, Fahrtkosten in Island, evtl. Frühstück und gelegentliche Mahlzeiten mit Gästen.
Die politische Reise nach Island wird vorbereitet von Sarah (sarah@iak-net.de) und Malaika (malaika@iak-net.de).
Infos, Interessebekundung und Anmeldung: iak@politisch-reisen.org