31. Oktober bis 2. November 2003 in Berlin

Der Reader mit den Texten zum Seminar als PDF zum Download (191 KB)

Mit den sogenannten NGOs (Nichtregierungsorganisationen) ist in den letzten Jahren ein neuer Mitspieler auf der lokalen wie weltweiten Bühne aufgetreten. Im Spannungsfeld zwischen sozialen Bewegungen und Nationalstaaten bewegen sich die NGO als politische Akteure und Anwälte von Minderheiten- und Partikularinteressen. Obwohl formal von den Regierungen der Staaten unabhängig, sind durch Förderung, Stiftungspolitik und Personal die Grenzen zu den staatlichen Stellen und Ministerien ebenso fließend wie zu den lokalen Gruppen und Organisationen, die das Erbe der sozialen Bewegungen der 80er Jahre angetreten haben. Obwohl der Großteil der NGOs wie subventionierte Unternehmen arbeiten, gibt es noch immer eine wichtige Fraktion innerhalb der NGO-Landschaft, die sich selbst als Teil der weltweiten Protestbewegungen sieht. Mit dem Anwachsen der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung haben die NGOs aus den Bereichen Menschenrechte, Frauen, Entwicklungsarbeit und Antirassismus einen neuen Auftrieb bekommen und werden zu Ansprechpartnern der lokalen Initiativen und lokal wie global agierenden Anwälten für ihre Interessen.
Mach’s mit, mach’s nach, mach’s besser

Gerade in den peripheren und semiperipheren Ländern übernehmen NGOs zunehmend staatliche Funktionen vor allem im Bildungs-, Ernährungs- und Entwicklungsbereich. Sie stoßen dort auf nur rudimentär entwickelte kapitalistische Vergesellschaftung und erhalten so teilweise eine Modernisierungsfunktion bei der Durchsetzung kapitalistischer Ökonomie. Da NGO selbst als – wenn auch sich moralisch legitimierende – profitorientierte und in Konkurrenzverhältnissen stehende Subunternehmen funktionieren, reproduzieren sie damit die bestehenden Gesellschaftsmodelle und -verhältnisse. Im Schlepptau der NGOs übernehmen – gerade im Rahmen weltweiter Protestbewegungen – auch die Reste und Verfallsformen der sozialen Bewegungen solche Funktionen. Auf dem Seminar soll diskutiert werden, wie dieser Entwicklung theoretisch beizukommen ist und welcher Umgang mit NGOs und weltweiten Protestbewegungen auf Grundlage dieser Kritik nötig und möglich ist.
Des Staates neue Kleider

Das zweite bestimmende Verhältnis für die Arbeit von NGOs ist der Staat. Im Kontext linker und sozialer Bewegungen kann die Geschichte und Entwicklung der NGOs als ein Scheitern des Umgangs mit dem Staat gesehen werden. Sie ist Folge eines umfassenden Institutionalisierungsprozesses und des Ringens um Anerkennung, die zu einer immer stärkeren Assimilation und Verklärung der geschlossenen Kompromisse geführt haben. Diese Entwicklung soll auch auf lokaler Ebene auf dem Seminar reflektiert werden. Als Beispiel dafür dient die Antirassismusarbeit, die sich immer in Gegnerschaft zur rassistischen Praxis des deutschen Staates gesehen hat und im Zuge des sogenannten „Antifa-Sommers“, der Erklärung des Antirassismus als Staatsaufgabe angesichts der immer weiter zunehmenden rassistischen und antisemitischen Angriffe, zunehmend staatliche Ressourcen für ihre Arbeit nutzen konnte.
Aber mehr noch als der verkürzte Vorwurf des „Mitmachens“ ist die Frage des Beitrags von NGOs bei der Durchsetzung von Staatsprogrammen wie Demokratie und Menschenrechte und die daraus folgenden Konsequenzen für die eigene Struktur von Bedeutung. Auf dem Seminar soll der Frage nachgegangen werden, warum NGOs selbst als kleine Staaten auftreten, sich nicht nur als „besserer Staat“ und besseres Staatspersonal empfehlen, sondern in ihrem Selbstverständnis und ihrer Arbeit bereits die Grundsätze von Nationalstaat und Kapitalverwertung reproduzieren.

Auf dem Seminar wollen wir unseren Begriff von und unsere Kritik an NGOs und Zivilgesellschaft klären und diskutieren. Neben den angesprochenen Themen sollen vor allem Workshops zu den Entwicklungen in einzelnen Ländern im Zentrum stehen. Dabei geht es u.a. um postsozialistische Länder in Osteuropa, Israel, Jugoslawien und Bevölkerungspolitik. Theoretisch interessiert uns besonders das Verhältnis der NGOs zum Staat und zum Kapital, kurz zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen.
Organisatorisches

Ort: ver.di-Tagungshaus Clara Stahlberg, Koblankestr. 10, Berlin-Wannsee
Teilnahmebeitrag: 10 Euro. Auf Anfrage werden Fahrtkosten übernommen.

Programm und Ablauf

Freitag, 31.10.2003:

18:30 Uhr

Eröffnung und Einführung:
NGOs und Zivilgesellschaft. Kritische Einführung in die Thematik des Seminars und Definition und Diskussion der Begriffe „NGO“ und „Zivilgesellschaft“
Helen Schwenken, IAK, Bochum/Kassel
Ulrike Granitzki, IAK, Berlin

20:30 Uhr

Podium:
Bewegung zwischen Institutionalisierung und Widerstand am Beispiel der Antifa-Bewegung
Mit:
Zeitschrift phase 2, Leipzig Claudia Luzar, Opferperspektive Brandenburg, Berlin Moderation: Timo Reinfrank, Amadeu Antonio Stiftung, Berlin

Samstag, 01.11.2003:

10:00 Uhr

Verwalter der Politik? – NGOs in der kapitalistischen Weltgesellschaft
Ulrich Brand, AK Weltwirtschaft des BUKO, Universität Kassel
Moderation: Felix Fiedler, IAK, Berlin

14:00 Uhr

Block 1

Humanität oder Ressentiment? NGOs und Israel
Ulrike Granitzki, IAK, Berlin
Tobias Ebbrecht, IAK, Berlin

Die Rolle von NGOs in der internationalen Bevölkerungspolitik am Beispiel der Transformation der Frauenbewegung
Susanne Schultz, Berlin

17:00 Uhr

Block 2

Die Rolle von NGOs in postsozialistischen Ländern in Osteuropa und Zentralasien
Michael Schulte, IAK, Berlin

NGOs und der Krieg
Helmut Dietrich, Berlin

21:00 Uhr

Film & Longdrinks

Sonntag, 2.11.2003:

10:00 Uhr

NGOs und die Globalisierung des Rechts
Tobias Ebbrecht, IAK, Berlin

14:00 Uhr

Abschlusspodium
Mit den TeamerInnen und ReferentInnen

Etwas besseres als der Staat? Seminar zur Kritik von Nichtregierungsorganisationen
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