Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2022
By Charlotte Weber
An unserem ersten Tag in Juárez treffen wir gleich drei spannende Orte und die inspirierenden Menschen, die dahinter stehen. Zuerst geht es auf den Bazar del Monu, benannt nach der Plaza del Monumento a Benito Juárez, wo der Markt bereits seit 24 Jahren – mit Unterbrechung – jeden Sonntag stattfindet. Initiiert wurde der Markt von Pablo Montalvo. Gemeinsam mit Freunden suchte er einen Ort, um Schallplatten auszutauschen. Ursprünglich nur als Projekt für einen Sommer gedacht, kamen mit der Zeit immer mehr Stände und Verkäufer:innen dazu und der Markt entwickelte sich zu einer Institution in der Innenstadt, die es Menschen niedrigschwellig und ohne Gebühren ermöglicht, von Selbstgemachten, über alte Schätze bis hin zu Massagen, Eis und Aguas frescas ihre Waren zu verkaufen. Der Mercado del Monu ist damit heute sowohl eine wichtige Einnahmequelle für die Verkäufer.innen als auch ein Ort für öffentliches kulturelles Leben. Letzteres ist in Juárez nicht selbstverständlich. Durch die Jahre exzessiver Gewalt zwischen 2008 und 2012 war öffentliches Leben außerhalb des eigenen Hauses lange Zeit nicht möglich. Der Mercado ist damit auch eines: eine Form den öffentlichen Raum zurückzuerobern.
Fußläufig vom Bazar liegt das „Edificio de los Sueños“. Inspiriert von Hausprojekten in Berlin, hat eine Gruppe politisch organisierter Freund:innen im Jahr 2018 die Chance ergriffen, das am Plaza Cervantina gelegene Haus zu kaufen. Um das Gebäude langfristig privatem Eigentum und Spekulation zu entziehen, ist das gemeinnützige Instituto para la Ciudad y los Derechos Humanos A. C. (Institut für die Stadt und die Menschenrechte) als Eigentümerin eingesprungen. Bis heute hat sich an dieser Stelle ein kulturelles Zentrum und Ort für Organisation und Austausch für unterschiedliche politisch, künstlerisch und zivilgesellschaftlich organisierte Gruppen entwickelt, das den Aufbau einer „economia solidaria y social“ unterstützen möchte. Bestandteil der Aktivitäten ist die Sanierung des Gebäudes, die gemeinsam mit lokalen Handwerker:innen und Architekt:innen organisiert und für die Besucher:innen erfahrbar wird. Wenn Leobardo Alvarado und Carolina Rosas Heimpel, zwei der Hauptinitiator:innen des Edificio de los Sueños von ihrem Weg erzählen, leuchten ihre Augen. Trotz vieler Hürden – von einstürzenden Dächern, über die Auseinandersetzung mit eigenen Widersprüchen bis hin zur Sorge vor staatlicher Repression – haben sie einen Ort geschaffen, mit dem sie dem Gefühl der Ohnmacht ob der Verhältnisse in einer Stadt wie Juárez etwas entgegensetzen und damit ihrem eigenen Traum von einem besseren, gerechteren Juárez ein Stück näher kommen.
Ebenfalls etwas verändern wollen die Initiatorinnen unserer dritten Station, Juárez erster Gratis Tienda. Der Tausch- und Umsonstladen möchte im Konsum-verrückten Mexiko einen bewussteren und nachhaltigen Konsum anregen, der auf Wiederverwendung statt Neukauf setzt. Gleichzeitig unterstützen sie damit Menschen, die nur wenige Ressourcen haben und verstehen sich als gemeinwohlorientiertes Projekt von und für die Nachbarschaft. Auch die Gratis Tienda möchte damit ihren Beitrag zu einer „economia social“ und dem Aufbau antikapitalistischer Strukturen leisten. Dass das Konzept funktioniert, zeigt die wachsende Zahl an Gratis Tiendas in der Stadt. Und auch wir finden hier neue alte Schätze. (Der Gründer der Gratis Tienda, Julio Morales hat auch diese Idee von einer Reise nach Berlin mitgebracht und von der Stadt Juarez mittlerweile einen Preis für seine Initiative erhalten.)
Vielen Dank an die Autorin für die Bereitstellung des Titelbildes.