Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2022
Von Charlotta Sippel
Besuch des Erinnerungsortes für die ermordeten Frauen „Campo Algodonero“
In den 1990er Jahren erlangte Ciudad Juárez traurige Berühmtheit als Stadt der „Frauenmorde“. Heute fahren wir mit der feministische Aktivistin Ana Laura und ihrer kleinen Tochter zum Denkmal für die ermordeten Frauen. Ana Laura erzählt von einem der ersten Fälle, die in der Stadt öffentlich wurden: Im Jahr 2002 wurden auf einem ehemaligen Baumwollfeld Campo Algodonero die Leichen von acht Frauen gefunden, die vor ihrem Tod vergewaltigt und gefoltert worden waren. Sieben von den acht Leichen konnten identifiziert werden:
Esmeralda Herrera Monreal
Laura Berenice Ramos Monárrez
Claudia Ivette Gonzále
María de los Ángeles Acosta Ramírez
Mayra Juliana Reyes Solís
Merlín Elizabeth Rodríguez Sáenz
María Rocina Galicia.
Die Frauen waren zwischen 15 und 19 Jahre alt. Zunächst waren es die Mütter der verschwundenen und ermordeten Frauen, die auf die Straße gingen und Gerechtigkeit forderten. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr Menschen zusammen, um gegen Feminizide und die Gewalt gegenüber Frauen zu kämpfen. Sie prangerten die feminicidios als Staatsverbrechen an, da der Staat seiner Verantwortung nicht nachkam, Frauen zu schützen und Bedingungen zu schaffen, welche die Sicherheit von Frauen und Mädchen im öffentlichen und im privaten Raum garantieren.
Fast ein Jahrzehnt, nachdem die erste Frauenleiche tot und mit Folterspuren aufgefunden wurde, reagierte das internationale Menschenrechtssystem auf die Forderungen der Öffentlichkeit nach Gerechtigkeit. Im Jahr 2002 wurden Petitionen gegen den Staat Mexiko beim Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof (IAHRC) eingereicht. 2009 wurde das Urteil verkündet, welches in mehrerlei Hinsicht bahnbrechend war. Der feminicidio wurde erstmals als geschlechtsspezifische Gewalt anerkannt und der mexikanische Staat als verantwortlich für die Morde an den Frauen erklärt. Aber auch heute drei Jahrzehnte später werden immer noch jeden Tag Frauen und Mädchen in Juárez ermordet und die Täter genießen weiterhin Straffreiheit, welche im korrupten Justizsystem sowie der Verbandelung von Drogenkartellen, organisiertem Verbrechen und staatlichen Institutionen begründet liegt.
Wenn wir durch die Straßen laufen, sehen wir die überall in der Stadt an die Wände geklebten Vermisstenanzeigen von jungen Mädchen.
Ciudad Juárez ist eine Stadt voller Migrant*innen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele der Verschwundenen aus dem Süden Mexikos, aus Guatemala oder El Salvador stammen. Sie haben vielleicht keine Verwandten in Ciudad Juárez, so dass niemand sie sucht. Selbst wenn ihr Leichnam gefunden wird, kommt niemand, um sie zu identifizieren, so dass sie anonym beerdigt werden.
Aber es existieren auch diverse feministische Bewegungen, die sich organisieren, vernetzen, die Gewalt anprangern und sichtbar machen, auf kreative Weise Widerstand leisten und für ihre Rechte kämpfen. Dank dieser mutigen Frauen wissen wir heute, was in Juárez passiert (ist) und die rosa Kreuze, die in Juárez ihren Ursprung nahmen, sind ebenso wie der Slogan „Ni una Menos“ (Keine weniger) auf der ganzen Welt zu Symbolen gegen die Gewalt gegen Frauen* und Femizide geworden.