Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2022
Von Charlotta Sippel
Heute besuchen wir das Kollektiv „Bicis para la banda“, ein Fahrradkollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, Fahrradfahren in Juárez populärer zu machen. Ihr Engagement setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen: Einerseits existieren sozial-ökologische Gründe, so möchten sie Fahrradfahren als nachhaltiges Transportmittel promoten und Menschen Fahrräder zugänglich machen, die keine Mittel dafür haben (wie Migrant*innen), damit sie mobiler sein können.
Andererseits ist Juárez zu Fuß keine sichere Stadt. Insbesondere in den Abendstunden und nachts gibt es viele Überfälle, Frauen sind zusätzlich von Vergewaltigung bedroht. „Busfahrer sind leider nicht immer vertrauenswürdig und sich nicht mehr aus dem Haus zu bewegen, würde nur den Kartellen in die Hände spielen, welche die Straße kontrollieren, und ist daher auch keine Option“, sagt Lisbeth, eine der Aktivistinnen der Gruppe. Auf dem Rad fühlt sie sich sicherer und sie will auch ein Zeichen setzen als Frau, denn in Juárez ist es nicht selbstverständlich, dass Mädchen oder Frauen Radfahren. Vielmehr ist es ein Akt des Widerstandes, sich den Raum und die Straße wieder anzueignen. Die Straße wieder aneignen, tun wir auch beim anschließenden Critical Mass. Eine Fahrraddemonstration durch die gesamte Stadt, die inzwischen zum regelmäßigen Ritual der Juárenzes geworden ist.
Es hat sich eine Kultur des gemeinsamen Fahrens entwickelt, eine Tradition, sich gegenseitig nach Hause zu begleiten am Abend. Hoyo! (Loch) wird jedes Mal gerufen, wenn eine Unebenheit in der Straße auftaucht, ein Loch im Asphalt und davon gibt es viele. Die Löcher stehen für die vernachlässigten Pflichten des Staates, in die Infrastruktur zu investieren, für die Korruption und all die Missstände in der Stadt. Aber für mich ist Hoyo! auch eine Metapher geworden für die Kultur des kollektiven “aufeinander Aufpassens” der Menschen – nicht nur beim Radfahren, sondern in allen Bereichen des Lebens. Inzwischen ist es dunkel geworden, immer noch radeln wir mit mehreren hundert Personen durch die Straßen Juárez und erfüllen die Nacht mit Hoyo-Rufen, die wie ein Lied gegen die Angst erklingen. Denn die Angst, sie ist immer mit dabei: „El miedo se nos ha tatuado en la piel.“, sagt Luis, einer der Integranten des Fahrradkollektivs. („Die Angst ist in unsere Haut tätowiert.“)