Seminarreise nach Bischkek und Osch. 9. bis 24. August 2003

Den gemeinen RezipientInnen nicht nur linker Periodika fällt bei Kirgisien wohl zuerst der Begriff `Zentralasien´ ein, das ja bekanntlich den Hinterhof der EU darstellt und in mehr oder weniger ausgeklügelten Pipelinetheorien seine Funktion als terra incognita der Vulgärmaterialisten erfüllt. Daran ist soviel wahr, daß die sonst auf Subsistenz basierende Ökonomie Kirgisiens den Großteil ihrer wenigen Rohstoffe, vor allem Gold, in die BRD exportiert. Öl is aber nich. Nach dem 11.9.2001 richtete sich auch noch ein wenig das Auge der Anti-Terror-Strategen auf das Land, in dem es selbst zwar kaum Islamisten gibt, das aber als Transitland für die militanten Islamisten auf ihrem Weg von ihren Lagern in Tajikistan ins usbekische Ferganatal fungiert. Seit Beginn des War on Terror gibt es neben dem Flughafen von Bischkek zudem eine amerikanische Air Force Base für den Einsatz in Afghanistan.

Internationale Stiftungen und Organisationen wie die OSZE haben Kirgisien in großem Stil für ihre Zivilisierungsversuche entdeckt und lassen mit ihren Geldern eine Landschaft von rund 6000 Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) entstehen, die gemessen pro Einwohner in den Ex-Realsoz-Ländern wohl einzigartig ist. Im Sog dieser Entwicklung verstärkte sich das Gefälle zwischen der liberalen, offenen Hauptstadt Bischkek und den traditionalistischen Dorfgemeinschaften. Das wirkt sich besonders auf die Rolle von Frauen, das Familienbild und die Familienhierarchien aus. Die Hauptstadt und gerade eben auch die NGOs bieten Frauen scheinbar die Möglichkeit, der dörflichen Familienfesseln zu entkommen, wie sie in den Romanen des kirgisischen Autors Tschingis Aitmatow (der mit den Pferden, Kamelen und den ehrlichen Landarbeitern, die Sturm und Steppe trotzen), idealisiert wird. Zwar war die Lebenssituation von Frauen in Zentralasien auch zu Sowjetzeiten zwischen der traditionellen Rolle und der öffentlich propagierten Emanzipation innerhalb der realsozialistischen Gesellschaft. Doch seit der Unabhängigkeit des zentralasiatischen Staates hat sich die Situation verändert. Während (wieder) Frauen allein auf ihre Funktion für die Familie festgelegt werden, sind neue Probleme hinzugekommen. Zwangseheschließungen, Arbeitslosigkeit, alkoholisierte Ehemänner, häusliche Gewalt, Müttersterblichkeit und Frauenhandel waren für Frauen in der Sowjetzeit so nicht präsent. Wir wollen verschiedene NGOs treffen, die sich mit der Situation von Frauen beschäftigen, wie z.B. die Prostituierten-Selbstorganisation Tais Pljus.

Neben dem Schwerpunktthema Situation von Frauen in Kirgisien wird unser zweiter Themenkomplex das Verhältnis Staat-NGOs sein. Welche Bedeutung haben NGOs in einen Staat, der nur rudimentär seine Aufgaben wahrnehmen kann und z.B. nur über eine Armee von 8.000 Soldaten verfügt? Sind hier die Aufgaben des Staaten aber auch andere als in Industriestaaten? Und wie ist die Rolle von Stiftungen wie dem Open Society Fund, der Heinrich-Böll- und der Konrad-Adenauer-Stiftung oder westlichen Staaten, die mit ihrem Geld einen großen Teil der Initiativenlandschaft finanzieren? Und: wie beeinflußt diese Finanzierung und die Ansprüche der Finanziers die Arbeit der Organisationen inhaltlich?

Welches Konzept von Gesellschaft verfolgen die einzelnen politisch in NGOs Organisierten? Wie sind die Erlangung von Frauenrechten und die Konstituierung eines demokratisch-bürgerlichen Staates zu bewerten? In welcher Rolle sehen sich die dortigen NGOs? Gibt es einen Unterschied zwischen den NGOs in der BRD und der Situation in Kirgisien? Sind NGOs in der BRD objektiv Dienstleister einer alternativen Herrschaftsverwaltung oder „demokratische Gestalter von Markt und Staat in der globalen Zivilgesellschaft“?
In der Seminarreise soll aber auch genauer auf die aktuelle gesellschaftliche, ökonomische und politische Situation in Kirgisien – auch im Verhältnis zu den anderen zentralasiatischen Republiken – eingegangen werden.

Das Programm dieser Seminarreise werden vor allem gemeinsame Treffen und Seminartage mit unserer Partnerorganisation, der Youth Human Rights Group in Bischkek (Hyperlink) und verschiedenen Organisationen ausmachen, wie z.B. dem Netzwerk „Initiative Center“.

Kirgisien ist ein Juwel in jeder Hinsicht. Bischkek überzeugt mit hübscher und einfallsreicher sozialistischer Moderne und Alleen als einzig denkbarer Straßenform. Ringsherum sind, wo man auch ist, immer mindestens 4.000-Meter-Berge mit Gletschern in Sicht. Als zweite Stadt steht Osch im Südwesten auf dem Programm, die zweitgrößte Stadt des Landes, in der es sehr viel traditioneller zugeht. Wer möchte, kann die Reise verlängern. Von Hochgebirge bis zum meerartigen See Issyk-Kul ist alles zu haben. Sprachkenntnisse sind nicht erforderlich. Allerdings erhöht sich die Erlebnisqualität für diejenigen, die Russisch sprechen. Englisch sprechen nur sehr wenige Leute. Türkisch mag in Kirgisien auch ganz nützlich sein.

Teamer: Michael, Sebastian

Der Teilnahmebeitrag beträgt voraussichtlich zwischen 450 und 550 Euro. Darin sind Vor- und Nachbereitung, Flug, Unterkunft und Transport in Kirgisien enthalten.

Informationen, Interessebekundung und Anmeldungen an: kirgisien@iak-net.de

Abseits der Seidenstraße
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