Mit 2 Autos und mit Leobardo zusammen, der uns schon am ersten Tag begleitete, machen wir uns auf den Weg, um den Westen der Stadt zu erkunden. Los geht’s durch das älteste Viertel im Stadtzentrum. Kleine einstöckige Häuschen, von denen gefühlt die Hälfte kaputt und verlassen sind, prägen das Panorama. Wir fahren an einer großen Polizeistation und anschließendem Gefängnis vorbei. Nicht zufällig beginne hier der Drogenumschlagplatz der Stadt, meint Leo, denn man sagt, die Polizei kontrolliere den Drogenhandel. Er erzählt uns einige Geschichten aus den früheren Zeiten von Juárez. Darunter auch diese, dass in den 1930er Jahren eine Frau, namens „La Nacha“ den dortigen lokalen Markt des Drogenhandels kontrollierte. Bereits damals bestach sie die Polizei, damit sie ihren Geschäften mit Heroin und Marihuana vor Ort in Cd. Juárez als auch bis in die USA nachgehen konnte. In diesem Viertel hat es aufgrund von Drogen- und Militärgewalt die meisten Toten zwischen 2008 und 2012 gegeben. Kleine Holzkreuze am Straßenrand erinnern daran.
Weiter geht es an den Stadtrand, der deutlich mehr von kleinen Hütten und Häusern geprägt ist, die mit wenigen Mitteln erbaut und teilweise verlassen sind. Viele Migrant_innen, u.a. die aus den USA wieder zurück über die Grenze kamen, ließen sich dort nieder und versuchten sich dort ein neues Leben aufzubauen, jedoch ohne Wasseranschluss, Gesundheitseinrichtungen, Schulen und Straßen.Heute sollen die zukünftigen Wähler_innen mit Schattendächern über Schulhöfen, die enorme Summen gekostet haben, beeindruckt werden, nicht zufällig hat die PRI hier ihre größte Wählerschaft.
Wir fahren durch die Vororte an ehemaligen Militärposten vorbei Richtung Grenze. Was auffällt sind die Wandmalereien. Viele Künstler_innen fahren gerne hier raus, um die Wände als Plattform für politische Botschaften zu nutzen. Allerdings gibt es seitens der Stadt aktuell eine Tendenz die verschiedenen Kunstkollektive, die es in der Stadt gibt, zu vereinnahmen und durch die Finanzierung von Material nur die erwünschten Aussagen in der Stadt sichtbar zu machen.
Durch die Wüste geht es direkt an dem 3-4 Meter hohen Grenzzaun entlang, der erst 2009 gebaut wurde. Brach liegende Flächen einiger Hektar mit Gebüsch und Sukkulenten, in dieser kargen Landschaft treffen sich jedes Jahr im August einige Menschen an beiden Seiten der Grenze, um dort gemeinsam eine Messe abzuhalten und an die vielen gestorbenen Migrant_innen zu gedenken.
Gleich in der Nähe beginnt ein eingezäuntes, bewachtes Gebiet, welches viele Konflikte hervorruft.Lomas de Poleo, ein Teil eines 25 000 Hektar großem Gelände, welches von einem reichen Unternehmer gekauft wurde. Mit privat angeheuerten Patrouillen wurde das Wohngebiet „gesäubert“, es wurden Häuser abgebrannt und viele Bewohner_innen vertrieben. Die vielen Häuser, Kirchen und Farmhäuser stehen nun nicht mehr, aber einige wenige Familien blieben trotz der Angriffe. Im Jahr 1993 wurden in diesem Gebiet einige Frauenleichen, Opfer der feminicidios, gefunden.
Das Grenzland ist strategisch wichtig für Unternehmer, so soll ein paar Kilometer weiter eine neue Maquila-Zone entstehen. Die Idee ist auf dem privatem Gelände eine riesige Industriestadt zu bauen mit eigener Infrastruktur und Wohnsiedlungen. San Jerónimo-Santa Teresa ist ein großes binationales Projekt, welches von Unternehmern von beiden Seiten der Grenze geplant wurde.
Wir fahren weiter an vielen Baustellen vorbei auf einer gerade neu angelegten Straße, dem sogenannten Camino Real. Als Stadtentwicklungsplan soll er einen Autobahnring bilden, der durch noch leere Grundstücke großer Unternehmer führt, die später als Industrieparks und Wohngebiete große Gewinne versprechen.
Wir erreichen den Cristo Negro, einem Aussichtspunkt mit einer weißen, einige Meter hohen Jesus-Statue. Der schwarze Christus wird sie genannt, weil auch hier in den 90er Jahren weitere Frauenopfer des feminicidio gefunden wurden. Die letzten Frauenleichen fand man an diesem Ort vor 2 Jahren. Emotional aufgewühlt erzählt uns Leo von dem Mord an Susana Chávez, einer Aktivistin und Künstlerin, deren verstümmelte Leiche man vor 2 Jahren fand. Viele Menschen, die wir hier während unserer Reise trafen, kannten sie.
Bei Abenddämmerung kamen wir nach einem langen Tag voller Emotionen an dem offiziellen, sehr umstrittenem Erinnerungsort der Feminizide an. Was vorher ein Baumwollfeld war, wo mehrere Frauenleichen gefunden wurden, ist heute eine zubetonierte Fläche voll mit Hotels, in der das mit einem Zaun umschlossene Monument fast unsichtbar wirkt.Dieses Denkmal wurde gebaut, weil Mexiko 2009 durch den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof aufgrund der Straflosigkeit der Verbrechen und der fehlenden Verantwortung des Staates verurteilt wurde. Durch das Urteil verpflichtet sich Mexiko Maßnahmen zu ergreifen, um die Feminizide zu stoppen. Von den umfassenden Forderungen hat der mexikanische Staat bis jetzt nur ein Denkmal realisiert, welches für viele eher Streit gebracht hat als Erinnerung und Heilung.