Gegen 10 Uhr stieg die eine Hälfte auf den Pickup von Leobardo und seiner Familie, die uns nach dem Frühstück einsammelten. Der Rest bewegte sich mit dem Bus in Richtung Monumento Benito Juárez, wo wir uns auf dem seit ca. 10 Jahren wöchentlich stattfindenden Flohmarkt, der von ein paar Juarensern organisiert wird, wieder zusammenfanden.

Früher organisierte die Gruppe das sonntägliche Treffen auf einer kleineren Fläche direkt am Monumento. Heute ist das ruhige Treiben auf dem kompletten Platz verteilt. Bevor die Aufwertung des Stadtzentrums auch hier zuschlug, standen große schattenspendende Bäume. Jetzt säumen neu angepflanzte und auf ausgetrockneten Boden wachsende Bäume die betonierten und gepflasterten Wege und Flächen des Platzes. Regelmäßig finden Konzerte statt, die die Stadt versucht für ihre Imageverbesserung zu vereinnahmen.

Leobardo Alvarado, Sozialwissenschaftler an der UACJ, zeigt uns anschließend auf einem Rundgang, geduldig unsere Fragen beantwortend, die Innenstadt. Der erste Stopp lag in der Nähe der Zuglinie, die das Zentrum in zwei Hälften teilt. Die Eisenbahn brachte viele Jahrzehnte jede Menge Händler_innen und Passagiere in die Stadt. Eine Vielzahl leerstehender und verfallener Hotels berichtet davon. Auch einzelne verlassene Eisfabriken, die es mal jede Menge gab, da die Bars für das Vergnügen der Ankommenden und Verweilenden nie geschlossen wurden, erzählen von der lebhaften Geschichte des Zentrums. In den 70er bis 90er Jahren entstanden die meisten Maquiladoras. Heute sind es mehr als 290. Damit wuchs die Stadt rapide. Mittlerweile sind Familien in denen nicht ein Teil migriert ist selten. „Es wird kein Wert auf die Geschichte gelegt“, sagt Leobardo. „Die Häuser werden verfallen gelassen und weichen später leerstehenden Neubauten. Dabei stehen die Interessen der Unternehmer_innen im Mittelpunkt. Das Zentrum wird heute von 230.000 Menschen, die sich hier täglich aufhalten belebt. Deswegen ziehen verschiedene Interessen am Zentrum. Der Streit reißt eine tiefe Furche und verhindert sogar einfachste Entscheidungen“, meint Leobardo. „Dabei gewinnen zumeist die Interessen der Unternehmer_innen.“

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Im Streit um die Stadt fallen zwei Diskurse zusammen, Modernisierung und Sicherheit, die benutzt werden, um zu argumentieren – Quitemos lo ‚malo‘. Das Zentrum ist geteilt in ‚la buena‘, um die Calle Juárez und ‚la mala‘ um die Calle Ignacio Mariscal. Beides waren Vergnügungsviertel, die von hier Lebenden, Zugezogenen, Verweilenden und Grenzgänger_innen besucht wurden. Im ‚guten‘ Viertel waren die Bars, Tanzsalons, Theater und Kinos für die gehobenere Klasse. Im sogenannten Schlechten gab es ebenfalls Bars, Sexarbeitende und kleine Geschäfte. Die Bewohnenden des Viertels wurden massiv verdrängt mit Häuserkauf, Lizenzentziehungen, hohen Steuern und vermehrten Polizeieinsätzen. Seit 2004 wird nach und nach abgerissen ohne Pläne für die neu entstandenen Brachflächen.

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Die Nähe zu den USA zog etappenweise vermehrt, bereits zu Zeiten der Alkoholprohibition und der Wirtschaftskrise, ebenfalls nicht nur Vergnügungssuchende in das Zentrum von Ciudad Juárez. Eine Rolle hinsichtlich der Grenzübertritte aus dem Norden spielte Fort Bliss (s. Blog) u. a. während des zweiten Weltkrieges und dem Vietnamkrieg. Die Soldaten kamen, um die letzte Nacht im Zentrum zu verbringen. Selbstverständlich in den Straßen um die Calle Juárez. Dafür hatten Aufpassende zu sorgen. Da in Fort Bliss auch die Bundeswehr stationiert ist, hat auch diese ihre Geschichte. Mamacita sorgte sogar für den sicheren Grenzübertritt und die Begleitung zum gleichnamigen Haus und noch heute erkundigen sich Soldat_innen via Internet bei hier lebenden Menschen, ob das Mamacita noch existiert. Seit ein paar Jahren gibt es ein Gesetz in den USA, dass es den Soldat_innen verbietet nach Juárez zu gehen. Dazu wurde uns in Fort Bliss berichtet, dass zwei getötete Soldat_innen anschließend unehrenhaft entlassen wurden. Das Phänomen des Verbotes betrifft mittlerweile z. T. ebenso die Universität in El Paso.

Der Stadtrundgang endete wieder am Monumento Benito Juárez, wo das flohmärktliche Treiben ruhig weiter gegangen war. Das Konzert hatten wir verpasst. Dafür begegneten wir einzelnen Aktivist_innen, die wir in den folgenden Tagen noch besuchen werden, wie Yo Soy 132 und Las Batallónes Femeninos (s. Blog).

Ciudad Juárez – Stadtrundgang mit Leobardo Alvarado – Quitemos lo ‚malo‘

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