Kirgistan, Bischkek

Drei Jahre nach dem Umsturz – hat er der Bevölkerung überhaupt irgendetwas gebracht?

30. August bis 14. September 2008

Seit der Unabhängigkeit in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion haben sich die Lebensbedingungen für die Bevölkerung in Kirgistan verschlechtert. Nach dem Ende der innersowjetischen Wirtschaftsbeziehungen brach wie in den meisten anderen postsozialistischen Ländern die Ökonomie zusammen. Politisch war das 5-Millionen-Land im zentralasiatischen Hochgebirge unter dem damaligen Präsidenten Askar Akaev eines der wenigen, die sich klar zu Demokratie bekannten. Doch die Realität sah anders aus: Nach einem durchaus hoffnungsvollen Start wurde der Kurs immer autoritärer. Nachdem im Vorfeld der Parlamentswahlen 2005 offensichtliche Fälschungen die Bevölkerung gegen die Regierung aufgebracht hatten, während insbesondere für die Menschen auf dem Land die wirtschaftliche Lage immer aussichtsloser wurde, mussten Präsident Akaev und seine Leute bei einem recht spontanen Volksaufstand aus dem Land fliehen. Die neue Macht um den neuen Präsidenten Kurmanbek Bakiev hatte zwar allerlei Parolen mitgebracht, mit der sie Demokratisierung, Bekämpfung der Korruption und Wohlstand versprach, doch wurde das Gegenteil umgesetzt: Bei weltweit explodierenden Lebenshaltungskosten steigt die Verarmung der Bevölkerung; Hunderttausende sind allein in den letzten Jahren in die Hauptstadt Bischkek und die südliche Metropole Osch migriert, wo die sowjetische Infrastruktur für so viele Menschen nicht ausgelegt ist und sowieso seit Jahren zerfällt; mehr als eine Million Menschen sind als ArbeitsmigrantInnen nach Russland und Kasachstan gegangen, um ihre Familien zu ernähren; das ehemals sehr leistungsfähige staatliche Bildungssystem zerfällt und wird auf dem Land mehr und mehr durch Koranschulen ersetzt. Zudem sind mittlerweile große Teile der gut ausgebildeten Bevölkerung aus allen Gesellschaftsbereichen dauerhaft in andere Länder emigriert, was zu einem immer drängenderen Fachkräftemangel führt.

Zu den Parlamentswahlen im Dezember 2007 wurde Kirgistan auf den russischen Weg gebracht: Ganz nach russischem Muster wurde das Mehrheits- in ein Parteienwahlrecht umgewandelt, ganz schnell die neue Präsidentenpartei Ak-Jol hochgezogen und das bislang liberale Demonstrationsrecht in der Hauptstadt massiv eingegrenzt und kostenpflichtig gemacht. Der Ablauf der Wahlen war eine komplette Farce in jeder Hinsicht – dagegen erscheinen die Wahlen 2005 ein Paradies an Rechtsstaatlichkeit gewesen zu sein. Für die Beamtenschaft war dies ein klares Signal: Das Land ist ein Selbstbedienungsladen, nimm Dir, was Du willst, Du wirst gedeckt. Für die Betroffenen heißt das etwa, dass jeder neue Reisepass, jedes erforderliche Dokument so lange verweigert wird, bis extra gezahlt wird. Die verbliebenen SpezialistInnen oder wenigstens braven VerwalterInnen sind in den letzten Jahren weitgehend durch Personen ersetzt worden, die ihre Posten gekauft haben und deren Interesse und Kompetenz einzig im Erwirtschaften von Schmiergeldern liegt. Der Staat erfüllt seine Schutzfunktionen kaum mehr.

Offensichtlich gescheitert sind die Bemühungen internationaler Organisationen, den Aufbau eines Staats zu begleiten. Als ehemaliges demokratisches Musterland hat Kirgistan viele solcher Organisationen angezogen, die mit viel Geld den Aufbau von Staats- und Zivilgesellschaftsstrukturen betrieben haben. Noch immer hat das Land eine enorme Anzahl an NGOs, die mit ihrer Arbeit viele wichtige Funktionen übernehmen. Ihr Einfluss ist – entgegen ihren Hoffnungen nach 2005 – jedoch rapide zurückgegangen: ohne demokratisches Staatsprogramm fehlt ihnen oft der Ansprechpartner für ihre Projekte.

Auf unserer Reise wollen wir mit VertreterInnen von NGOs, JournalistInnen, Studierendengruppen und WissenschaftlerInnen sprechen. Zudem werden wir die Möglichkeit haben, aktive Jugendliche zu treffen und ihre Sicht auf die Zukunft kennenzulernen.

Von unseren GesprächspartnerInnen möchten wir erfahren, was sie als die wichtigsten Probleme sehen, wie sich in ihren Augen die Gesellschaft verändert hat und was sie tun, um Veränderungen zu erreichen. Der NGO-Sektor spielt in Kirgistan eine wichtige Rolle: Er beeinflusst die demokratischen Prozesse im Land zwar immer weniger, übernimmt aber auch viele Funktionen, die der Staat und seine Sozialsysteme aus Geldmangel nicht erfüllen können. Bei unseren Gesprächen möchten wir versuchen, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der ökonomischen und sozialen Bedingungen zu verstehen. Dabei werden wir viel über die Probleme postsozialistischer Gesellschaften, das Scheitern westlicher Demokratisierungspolitik und unser eigenes politisches Denken und Handeln lernen.

Die Auswahl möglicher GesprächspartnerInnen und ihre Spezialisierungen sind groß. Wie wir konkret unser Programm gestalten, werden wir gemeinsam auf einem Vorbereitungsseminar entscheiden, das voraussichtlich im Juli stattfindet.

Trotz aller Probleme hat Kirgistan nicht nur viele ausgesprochen interessante GesprächspartnerInnen, sondern ist auch ein großartiges Reiseland: Atemberaubende Landschaften im Hochgebirge des Tian-Shan, hervorragendes (jedoch fleischlastiges) Essen oder den grandiosen See Issyk-Kul. Außer dem Straßenverkehr ist das Land zudem auch völlig sicher für Reisende. Unser Programm wird zwar dicht und anstrengend, aber auf jeden Fall ausreichend Zeit bieten, um Stadt und Land zu erkunden. Zudem lässt sich die Reise problemlos verlängern.

Der größere Teil unserer Reise wird in Bischkek stattfinden. Daneben bietet sich die Möglichkeit, noch in eine andere Stadt zu fahren. Ob und wohin, entscheiden wir gemeinsam unter den Mitfahrenden.

Das Vorbereitungsteam kennt sich im Land hervorragend aus (zwischen einem und 25 Jahren Erfahrung). Besondere Sprachkenntnisse sind nicht unbedingt erforderlich. Grundlegende Englischkenntnisse sind von Vorteil. Russischkenntnisse eröffnen vollständige Selbständigkeit, Türkisch eröffnet einen ersten Zugang zur kirgisischen Sprache.

TeamerInnen: Michael und Yulia

Teilnahmebeitrag: ca. 850 Euro. Leider wird die Reise nur aus IAK-Eigenmitteln finanziell unterstützt. Im Teilnahmebeitrag sind Vorbereitung, Flugkosten, Fahrtkosten im Land und Unterkunft (wir werden wieder eine Wohnung im Stadtzentrum mieten) enthalten.

Diese Veranstaltung ist nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz als Bildungsurlaub anerkannt.

Infos und Anmeldung: kirgistan@iak-net.de

Hier geht es zu unserer ausführlichen Linkliste zu kirgisischen englisch- und russischsprachigen Medien sowie einigen Organisationen.

Ankündigungstext Kirgistan-Veranstaltung vom 25. März 2008

Kirgistan: Drei Jahre nach dem Umsturz – hat er der Bevölkerung überhaupt irgendetwas gebracht?
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