Borderlands: Wem gehört die Stadt… und die Grenze?

Aktivität vor dem Kulturzentrum Edificio de los Sueños (Foto: Luis Murillo)
Politische Reise nach Ciudad Juárez, Mexiko, mit Exkursionen ins Umland und nach El Paso, Texas vom 20. September bis 06. Oktober 2024

Die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez erlangte erstmals durch Frauenmorde in den 1990er Jahren eine traurige Berühmtheit. Immer wieder steht die Boomtown als “gefährlichste Stadt der Welt” im Fokus der Medien. In den letzten Jahren fällt das Licht der Öffentlichkeit erneut auf Juárez und seine Zwillingsstadt, El Paso, Texas, weil unzählige geflüchtete Familien aus diversen Ländern versuchen, die Grenze klandestin zu passieren oder Asyl in den USA zu erhalten.

Wenig bekannt ist, dass Ciudad Juárez sich durch eine enorm vielschichtige und aktive Zivilgesellschaft auszeichnet. Sie basiert unter anderem auf dem Engagement der Mütter von verschwundenen und ermordeten Mädchen. Sehr bedeutend ist auch der Einsatz vieler Menschen für Frieden, Gerechtigkeit und kollektive Erinnerung angesichts von Gewaltexzesse durch Militär, Polizei und Organisierter Kriminalität, oft verkürzt dargestellt als sogenannten “Drogenkrieg”.

Auch die Arbeit von Organisationen, die diesseits und jenseits der Grenze in direkter Solidarität mit Migrant*innen, Geflüchteten und Abgeschobenen arbeiten, verläuft zumeist im Stillen. Kreative kulturelle und politische Ausdrucksformen wie Hiphop, Street Art und Theater sind in der Grenzstadt sehr sichtbar. Die LGBTIQ-Szene ist in Ciudad Juárez schon seit vielen Jahrzehnten sehr präsent.

Gesellschaftliche Ausgrenzung, Marginalisierung und Repression existieren in den weit ausgedehnten Stadtvierteln am Rande der Wüste nicht erst seit dem sogenannten “Drogenkrieg” ab 2008. Trotz weit verbreiteter Gewalt haben Kunst- und Stadtteilprojekte öffentlich Räume in kollektiver Weise zurückerobert. Eine Fortsetzung von Militarisierung unter dem aktuellen, Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador, genannt AMLO, die Gentrifizierung der Innenstadt sowie Offener Bergbau im direkten Umland, Wasserknappheit und steigende Temperaturen sind anstehende Herausforderungen für die Zivilgesellschaft in der Industriemetropole in der Wüste. Eine Auswahl von Initiativen und Aktivist*innen möchten wir durch die Reise näher kennenlernen.

Zwischen Ciudad Juárez und El Paso, Texas, wurde die Mauer unter US-Präsident Joe Biden zu einem apokalyptischen Hindernisparkour zwischen Natodrahtwällen und Panzerfahrzeugen der Nationalgarde ausgebaut. Das unter Donald Trump vollkommen ausgesetzte Asylrecht wurde unter Biden digitalisiert. Für die Kartelle ist das Schleusertum in der Grenzstadt damit ertragreicher als der traditionelle Drogenhandel geworden.

Während in Ciudad Juarez seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten Frauenmorde kaum verhindert und nur selten aufgeklärt werden, organisieren sich weiterhin Mütter, Familien und lokale feministische Kollektive. Zahlreiche Organisationen leisten Widerstand, schaffen alternative Räume und Sichtbarkeit für die anhaltenden Gewaltverhältnisse. Das städtische Fraueninstitut hat den weltweit wohl ersten Sicherheitskorridor für Frauen im Zentrum der Stadt geschaffen.

Ciudad Juárez und El Paso sind erst seit dem 19. Jahrhundert zwei getrennte Städte in zwei verschiedenen Ländern. Bevor Mexiko seine Nordstaaten 1848 an die USA verlor, lag die Grenze viel weiter nördlich. Erst ab 1848 wurde der Río Bravo/Río Grande zum Grenzfluss. Die binationale Wassernutzung wurde mit dem Bau eines Staudamms auf US-amerikanischer Seite zu einem Streitthema. Seit El Paso ein halbes Jahr lang die Kanalisation ungefiltert in den Fluss ableitete, versuchen Initiativen das Recht auf Wasser in diesem komplexen, binationalen Kontext einzufordern. Aktuell ist ein weiteres Stück Land an der Grenze in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt: der Chamizal, einer der wenigen naturnahen Räume und grüne Lunge der Stadt in der Wüste wollen Unternehmer heute zum Bau kommerzieller Zentren nutzen. Unter anderem die Ndé/N’dee/N’nee, eine bis heute von Mexiko nicht anerkannte indigene Minderheit, kämpfen für den Erhalt dieses Naturraums.

In der Industriemetropole Ciudad Juárez werden in 300 Montagebetrieben hochtechnologisierte Produkte für den Weltmarkt gefertigt. Die Strukturen der sogenannten Maquila-Industrie prägen das Stadtleben. Jahrzehntelang hat die Stadtpolitik sich an Unternehmer*inneninteressen orientiert. Land- und Immobilienspekulation prägen den urbanen und semi-urbanen Raum. Nun wird mehr und mehr das Recht auf eine lebenswerte Stadt eingefordert, einschliesslich Kultur, Umweltschutz, solidarischer Ökonomie, öffentlichen Räumen, menschlicher Sicherheit und guter Infrastruktur für alle. Lokale Initiativen wie der sonntägliche Bazar del Monu und das Fahradkollektiv Fixiebeat sind Beispiele konkreter Umsetzung.

Unsere Reise als Teil einer größeren Netzwerkidee

Seit 2013 organisieren wir regelmäßig politische Reisen von Menschen aus Deutschland nach Ciudad Juárez und umgekehrt. Der Austausch baut mittlerweile auf zahlreiche persönliche Kontakte mit Aktivist*innen, NGO-Mitarbeiter*innen, Wissenschaftler*innen, Kunstschaffenden und Medienvertreter*innen in Ciudad Juárez auf. In Folge unseres Austausch entstanden mehrere Projekte wie die Gratis Tiendas, das Kulturzentrum Edificio de los Sueños und das Institut für das Recht auf die Stadt und die Menschenrechte ICIDHAC. Dieses Netzwerk und weitere Akteur*innen wollen wir mit der diesjährigen Reise kennenlernen und stärken.

Foto: Dagmar Seybold
Zum Ablauf der Reise

Fragen und Programmideen zur Reise sollen vor der Anmeldung in einem Online-Gespräch mit den Reiseleiterinnen besprochen werden. Das Programm kann entsprechend der Interessen der Teilnehmenden angepasst werden; inhaltliche Schwerpunkte und Freizeitphasen werden während der Vorbereitung mit der ganzen Gruppe besprochen und festgelegt. Ein hybrides Vortreffen gibt es im Sommer 2024.

Während der Reise werden wir Erlebtes und Gehörtes gemeinsam reflektieren und diskutieren. Inhaltliche Kurzinputs durch die Teilnehmenden zur Vorbereitung der Programmpunkte vor Ort sind ebenso erwünscht wie eine Vernetzung mit Aktivist*innen in Juarez und die Einbringung des Erlebten in soziales Engagement in Deutschland. Spanisch-Kenntnisse sind hilfreich aber nicht notwendig; die Programmpunkte werden gedolmetscht.

 

Termin

20. September bis 06.  Oktober 2024

 

Reiseleitung

Kathrin Zeiske und Ina Riaskov

Ina Riaskov lebt und arbeitet in Mexiko und Deutschland als freischaffende Fotografin, Grafikdesignerin und Soziologin in und zu feministischen Bewegungen an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus: https://www.flickr.com/photos/produccionesymilagros

Kathrin Zeiske lebt und arbeitet zwischen Deutschland und Mexiko. Nach der Tätigkeit in einer Migrant*innenherberge schreibt sie heute als freie Journalistin über soziale Bewegungen, Flucht & Grenze, Gewalt & Weltmarkt in der Region (http://grenzueberschreitend.blogspot.com/). 2022 erschien ihr Buch „Ciudad Juárez: Alltag in der gefährlichsten Stadt der Welt“.

 

Teilnahmebeitrag

1.800 Euro

Der Teilnahmebeitrag beinhaltet Hin- und Rückflug, Programmkosten, Gemeinschaftsunterkunft, Transport vor Ort, sowie Kosten für Dolmetschen)

Die im Reisepreis inbegriffene Unterbringung besteht aus einer einfachen Gruppenunterkunft. Bei Bedarf kann gegen Aufpreis von 850 Euro ein Hotelzimmer nach Wunsch gebucht werden.

Die Verpflegung ist nicht im Reisepreis inbegriffen. In der Regel werden wir gemeinsam in der Unterkunft frühstücken. Während der gesamten Reise werden Einkäufe und Zubereitung von Mahlzeiten in der Unterkunft als gemeinsame Aufgabe von der Gruppe übernommen.

Bildungsurlaub

Auf Wunsch wird für die Reise eine Anerkennung nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz als Bildungsurlaub beantragt. Eine Anerkennung in weiteren Bundesländern hängt von den dortigen Richtlinien ab.

Anmeldung

Leider ist unsere Reise schon voll und ebenso die Warteliste. Im Sommer 2025 wird eine Gruppe von Ciudad Juarez nach Berlin reisen. Von Deutschland aus werden wir diese Reise das nächste Mal im Herbst 2026 durchführen. Tragt euch gerne auf dem IAK-Newsletter ein oder haltet Anfang 2026 an dieser Stelle nach unserer Ausschreibung Ausschau. Fragen und Interesse-Bekundungen unter mexiko@iak-net.de.

Mexiko (20.09.-06.10.2024)

5 Kommentare zu „Mexiko (20.09.-06.10.2024)

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