An einem Nachmittag besuchen wir die Galerie „Azul Arena“ (blauer Sand) in Ciudad Juárez. Vier kleine Öffnungen im oberen Teil zweier sich gegenüberstehender Wände holen das Tageslicht ungefragt in die Galerie herein und machen kleine Staubpartikel sichtbar – wie in einem Perpetuum Mobile. Dieses Spiel ereignet sich in einem mit künstlichem Neonlicht beleuchteten Raum, es verleiht ihm eine magische Atmosphäre. Dort lernen wir den Galeristen Edgar Pizaro und die Künstlerin Haydee Alonso kennen, die uns durch die Ausstellung “Ecos paralelos – parallel echos ” (parallele Echos) führt.
Für die Ausstellung verwendet Haydee eine Vielzahl an Medien wie Metall und Fotografie mit dem Ziel, verschiedene Grenzerfahrungen zu thematisieren. Die Ausstellung der Künstlerin, ihre erste Monographie, umfasst ein Jahrzehnt multidisziplinärer Arbeit. Haydee erforscht die Grenze als Interaktion vielfältiger Begegnungen, als Dualität und Vernetzung.
Beim Sammeln unterschiedlicher Erfahrungen mit der Grenzregion Juárez-El Paso können Länder, Ideen und Realitäten zusammenlaufen oder auseinandergehen, so Andres Payan Estrad, Kurator der Ausstellung.
Ich habe im Nachhinein Haydees Konzept der Grenze als „fluides Ganzes“ für mich als liminale Erfahrung (V. Turner) eingeordnet, also als eine Erfahrung, die Menschen verändert. Denn die Grenze bedingt einen Schwellenzustand, der in einer neuen Angliederung der sozialen Ordnung mündet.
Ciudad Juárez und El Paso (del Norte) waren einst eine einzige Stadt und liegen heute als getrenntes Ganzes an beiden Seiten des Rio Grande (US-amerikanischer Name, in Mexiko Rio Bravo genannt). Erst seit 1848 gehören beide Städte zu zwei verschiedenen Ländern: Ciudad Juárez liegt in Mexiko und El Paso in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Wer die Geschehnisse um Ciudad Juárez in der Presse verfolgt, wird von der Perspektive der Ausstellung überrascht sein, da die Berichterstattung über die mexikanische Seite der Grenze stark negativ geprägt ist und Gewalt und Drogen den Ton angeben.
Haydee wurde in Ciudad Juárez geboren, lebt seit einigen Jahren in El Paso und arbeitet in beiden Städten. Wie viele andere Personen, die täglich die Grenze passieren, erlebt sie diese Region als Möglichkeitsraum. Dieses Privileg, das fluide, ungehinderte Kommen und Gehen über die lange Grenzbrücke zwischen Juárez und El Paso, haben auch wir als Reisende aus Deutschland erleben können. Die Überquerung bleibt dennoch für viele Andere, die über die Grenze gehen möchten, eine Traumvorstellung, ein Ritual, das sie niemals oder unter sehr schweren Umständen vollziehen werden, da ihnen der Zugang in die USA verwehrt oder erschwert wird.
Wie kann diese liminale Erfahrung der Grenze künstlerisch dargestellt werden?
In der Ausstellung gibt es einige Beispiele.
Ringe als Schmuck drücken neben dem Ästhetischen auch Ritualisiertes und Funktionales aus. Bei den drei Exponaten in der Ausstellung fällt auf, dass das Ästhetische überwiegt und zugleich blendet. Das Funktionale, sagen wir mal, das schlichte Einführen des Fingers, das auch die Funktion des Rituals erfüllt (Ringe als Versprechen der Liebe, als Symbole der Macht), entfällt. Wir hören in der Führung von Haydee, dass eine minimal gehaltene, quadratische und eine winzige runde Öffnung zum Einführen in den Finger die Ringe zu einem Symbol der Desillusion machen. Wenn man sich ihnen nähert, die Bilder im Beitrag mögen diese Erfahrung nachvollziehbar machen, wird dem betrachtenden Auge klar, dass diese Ringe täuschen. Es sind keine gewöhnlichen Ringe, in sie können keine Finger eingeführt werden. Wenn man dies feststellt, ist man schon der Täuschung verfallen.
Der dritte Ring weist gar keine Öffnung auf. Er schaut in der Ausstellung auf uns in seiner üppigen Ganzheit zurück. Alle drei Objekte sind mit einem von oben beleuchteten Edelstein verziert und an einer sich drehenden, spiegelnden Scheibe angebracht. Sie sehen zwar verlockend aus, doch auch wir verfallen der Täuschung. Die Symbolik des Rituals wird durch die Erfahrung der Desillusion (für uns die erlebte Täuschung) gebrochen.
Diese Erfahrung mögen auch viele Menschen sammeln, wenn sie über „la frontera” (die Grenze) nachsinnen. „La frontera“ als Ort der Möglichkeiten wird zu einem Ort der Spannung und Desillusionierung.
Für mich ist die Führung von Haydee eine sehr bereichernde Erfahrung. Neben den theoretischen Konzepten und den künstlerischen Artefakten erlebe ich Haydee als sehr authentisch. Ihren Ansatz zur Dualität und Vernetzung der Grenze lebt sie uns auch sprachlich vor. In ihrer englischsprachigen Führung tauchten immer wieder Sätze und Wörter auf Spanisch auf, die der Erzählung Dynamik verleihen.
Es ist ein visuelles und emotionales Erlebnis, ihr zuzuhören, und ebenso eine Freude, ihren Lern- und Schaffensprozess über die Jahre nachzuvollziehen. Im Gespräch eröffnet sie uns auch ihre Erwägung, neue Perspektiven anzugehen. Sie beabsichtigt z.B., die Mikroperspektive, die durch das Schauen auf ihre Hände bei der Verarbeitung von Schmuck entsteht, zu erweitern. Durch den Austausch mit ihrem Ehemann, einem Architekten, entstehen weitere Exponate, die in die Höhe wachsen. Säulen waren auch in der Ausstellung zu sehen. Auch diese stellen eine Metapher für die Grenze dar.
Es bleibt spannend zu verfolgen, was ihre Hände und ihr Geist noch schaffen werden!
Also unbedingt auf Instagram folgen!
Informationen zur Galerie “Azul arena” und zur Ausstellung von Haydee Alonso: https://www.azularena.org/exposiciones/ecos-paralelos
Instagram Haydee Alonso @ayayayd
von Elena