Juarlin Treffen, Plaza Cervantina, Edificio de los sueños, Zentrum Juárez
„Juarlin“- Treffen auf der Plaza Cervantina vorm Edificio de los Sueños, Zentrum Juárez
Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2024

Von Gabriela

Die Reise nach Ciudad Juárez begann virtuell bereits im Frühling mit online-Vortreffen. Dabei konnten wir uns als Gruppe kennenlernen und unsere individuellen und gemeinsamen Wünsche und Interessen für das Reiseprogramm abstimmen (Frauenrechte, Stadtplanung, Mobilität, Landschaft, (internationale) politische und wirtschaftliche Einflüsse, etc.). Außerdem bekamen wir wertvolle Informationen für die persönliche Vorbereitung und die Vorfreude wuchs. Nach einer hindernisreichen Anreise durch überbuchte und umgebuchte Flüge wurden wir alle herzlich von Juarlín-Teilnehmer*innen (Juarlín: Netzwerk aus Teilnehmenden an den jährlichen Reisen nach Berlin und Ciudad Juarez) am Flughafen in Empfang genommen und in unsere Unterkunft gebracht. Eine Unterkunft für 12 Personen, in einer Stadt in die sich normalerweise keine Tourist*innen verirren, ist gar nicht so einfach zu finden, weshalb wir ca. eine halbe Stunde Autofahrt vom Zentrum entfernt unterkamen.

Das Stadtzentrum lernten wir in einem ereignisreichen ersten Tag gleich aus mehreren Perspektiven kennen: Nach gemeinsamem Frühstück und Absprachen zu Sicherheit und  kollektivem Wohlbefinden fuhren wir zum Monu, dem zentralen Platz für (zivil)gesellschaftliches Leben in Ciudad Juárez [Verlinkung Text Pia]. Anhand der Nutzungsentwicklung des Platzes wurden uns gesellschaftspolitische Zusammenhänge erläutert und wir konnten uns auf dem Flohmarkt umschauen. Den ganzen Tag über bewegten wir uns im Corredor Seguro, dem Sicheren Korridor: im Stadtzentrum wurden Kameras und Panik-Buttons eingerichtet, damit vor allem Frauen sich innerhalb dieser Zone sicherer bewegen können. Danach trafen wir die Familie von Isabel Cabanillas, einer jungen  Künstlerin und Aktivistin, die trotzdem vor ca. viereinhalb Jahren in genau dieser Zone ermordet wurde [Verlinkung Text Leonie].

Die vielen neuen Eindrücke verdauten wir bei einem ortstypischen Mittagessen. Unseren ersten Burrito dieser Reise genossen wir im Edificio de los Sueños – Haus der Träume. Das kleine, ehemals verfallene Haus wurde 2019, inspiriert von Berliner Hausprojekten, für wenige zehntausend Euro gekauft, um einen nichtkommerziellen, für Alle nutzbaren öffentlichen Raum zu schaffen. Dafür haben sich mehrere Menschen aus dem Juarlín-Umfeld zusammengefunden, einen Verein gegründet und Spenden eingeworben. Seitdem finden vielfältige Initiativen und Aktionen hier einen Raum, um ihre Ideen zu verwirklichen.

Vor dem Edificio de los Sueños auf der Plaza Cerventina hauchen soziale und kulturelle Angebote wie das Festival der Träume, Freiluftausstellungen, Wandmalereien und Filmvorführungen der Innenstadt neues Leben ein. Auch für unsere Reisegruppe wurde das Edificio de los Sueños zu einem wichtigen Ort, den wir immer wieder für Workshops wie beispielsweise eine Paste-Up-Aktion mit dem Straßenkunstkollektiv Bravas Colectiva oder als Treffpunkt für Austausch im Juarlín-Netzwerk nutzen konnten.

Die letzten 20 Jahre zuvor hatte das Gebäude leergestanden, da im Rahmen der Gewaltexzesse durch Militär, Polizei und Organisierter Kriminalität unter dem Deckmantel des sogenannten Drogenkrieges Bewohner*innen ganzer Häuserviertel im Zentrum vertrieben wurden und die Altstadt zunehmend verfiel. Die weitläufige Ansiedlung von Weltmarktfabriken, Boden- und Immobilienspekulation und die an Partikularinteressen orientierte Stadtplanung führten zu riesigen Brachflächen und teilweise weitgehend unbewohnten, verfallenden Stadtteilen.

Am Edificio de los Sueños werden immer wieder Sanierungsmaßnahmen notwendig: Während der Pandemiezeit stürzte beispielsweise das Dach ein und die weitgehend kollektiv organisierten Bauarbeiten dauern oft länger als geplant. Aktuell ist im Keller die Werkstatt des Fahrrad-Kollektivs Bicis pa’la Banda mit Bar untergebracht, im Erdgeschoss gibt es Raum für Begegnung und Veranstaltungen, in der 1. Etage wird Platz für eine Galerie mit Co-Working-Space geschaffen. Und in der 2. Etage soll ein Ort zum Übernachten ausgebaut werden, sofern es die Statik zulässt. Die Umbaumaßnahmen werden durch ein Architekt*innenkollektiv geplant und umgesetzt, dabei wird besonders auf nachhaltige Bauweisen geachtet. Die meisten Wände sind aus traditionellen Stroh-Lehm-Ziegeln, die eine wesentlich bessere Wärmeisolierung haben als die heute genutzten Zement-Blocks. Eine Wand im Keller besteht aus Glasflaschen, eine Hinterlassenschaft der tienda (Laden), die sich früher im Gebäude befand. Die Aktivist*innen rund um das Edificio de los Sueños führen unterschiedliche Kämpfe und organisieren sich gleichzeitig gemeinsam. Sie haben beschlossen, dass das Haus nicht verkauft werden darf, sollte sich ihre Gemeinschaft eines Tages auflösen, sondern kostenfrei an eine gemeinnützige Organisation oder Initiative weitergegeben müsste.

Für unsere Gruppe gings noch weiter Richtung Grenze an ein der Brücken über den Grenzfluss Río Bravo, die im Alltag und Stadtbild der Zwillingsstädte Ciudad Juárez und El Paso omnipräsent ist. Wir beendeten unseren ersten Tag der Juarlín-Reise 2024, an dem wir unterschiedliche Perspektiven und Kontexte von Ciudad Juárez kennenlernten mit Lucha Libre. Lucha Libre Shows ähneln dem US-amerikanischen Wrestling und sind in Juárez  vergleichbar mit BVB-Fußballspielen in Dortmund. Sie sind beliebte Ziele sonntäglicher Familienausflüge. Miss Kath, eine der Organisatorinnen unserer Reise, ist gleichzeitig professionelle luchadora (Kämpferin) und verteidigte an diesem Abend erfolgreich ihren Titel.

Mexiko 2024 #1: Es geht los – erste Eindrücke von Ciudad Juárez
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