Am zweiten Tag besuchen wir das Stadtviertel Las Torres, welches ab Mitte der 1980er Jahre erbaut wurde. Zu diesem Zeitpunkt wuchs Ciudad Juárez massiv durch die Ansiedlung großer Weltmarktfabriken, auf Spanisch maquilas oder maquiladoras. Las Torres steht beispielhaft für eine ganze Reihe Schlafstädte, hier colonias genannt, die zur Unterbringung der Arbeiter:innen dienen und die weitestgehend von städtischer Infrastruktur abgeschnitten sind. Wir sind zu Besuch bei Yuzalet und ihrem Sohn Irving, die uns in ihrem Haus köstlichst versorgen und viel über den Stadtteil erzählen.

Die Wohnhäuser in Las Torres sind aus Beton, schlicht und klein. Lediglich einige wenige Gebäude haben zwei Stockwerke und sind somit nach mexikanischer Bauweise angelegt: zunächst wird einstöckig gebaut und wenn ausreichend Kapital bzw. Notwendigkeit da ist, werden ein oder zwei weitere Stockwerke ergänzt. Yuzalet berichtet, dass die Häuser sich meist in privatem Eigentum befinden: Eine Festanstellung in einer der vielen Fabriken ermöglicht es auch Arbeiter:innen Wohneigentum durch staatliche Kreditprogramme zu erwerben, sofern sie die Kredite langfristig bedienen können.

Während unseres Rundgangs durch das Viertel wird sehr deutlich, dass es kaum öffentliche Infrastruktur gibt. So gelangen viele nur durch Busse der Fabriken zur Arbeit; immer wieder sehen wir ausrangierte US-Schulbusse mit der Aufschrift „Transporte de Personal“. Die Gesundheitsversorgung beschränkt sich überwiegend auf private Apotheken.

Wir sehen aber auch, dass sich die Bewohner:innen ihren Stadtteil aneignen: Entlang der größeren Straßen gibt es viele Essensstände, welche nach Sonnenuntergang öffnen und Zusammensein ermöglichen. Auf einem selbstorganisierten Markt werden Secondhand-Waren aus den USA verkauft. Für viele ist der Verkauf ein wichtiges, wenn auch informelles Einkommen, da sie für die Arbeit in den Fabriken bereits zu alt sind oder ihre Rente nicht zum Leben reicht.

Nach einem anstrengenden Weg gelangen wir entlang einer lauten Straße zu den Großfabriken, die sich wie ein Band um den Stadtteil ziehen. In Ciudad Juárez sind es insgesamt über 300 solche Firmen. Mehrere hunderttausend Menschen produzieren hier Einzelteile für Firmen wie Siemens, Tesla und Bosch. Mit ihren Familienangehörigen hängen ca. 1 Million Menschen in der 1,5 Millionen-Stadt direkt von den Einkommen der Arbeiter:innen ab. Für viele Arbeiter:innen bedeutet die anstrengende, teils sehr monotone Tätigkeit ein geregeltes, wenn auch geringes Einkommen, den Anspruch auf Kranken- und Sozialversicherung, die Möglichkeit auf einfaches Wohneigentum und Arbeit an einem klimatisierten Ort. Yuzalet bezeichnet die Arbeitsbedingungen dennoch als moderne Sklaverei vor dem Hintergrund einer hohen Abhängigkeit und schlechter Arbeitsbedingungen, die langfristig teils schwere Gesundheitsschäden verursachen.

Zudem rücken die Fabriken immer näher an die Wohngebiete heran, was massive ökologische Folgen hat: Die Häuser senken sich durch die Verdichtung des weichen Wüstenbodens ab. Die Luftverschmutzung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das Wasser wird knapper und teurer und ist immer stärker mit (Schwer-)Metallen, insbesondere Arsen, belastet.

von Jenny

Weltmarktfabriken und Schlafstädte

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