Sierra de Juárez, Territorium der indigenen Gemeinschaft Nde
Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2024

Von Gabriela

In der zweiten Reisewoche lernen wir die Umgebung kennen. Nachdem wir gestern im Valle de Juárez (Juárez-Tal) waren, geht es heute ins Gebirge Sierra de Juárez. Die Gebirgskette ist von der Stadt aus gut sichtbar und der riesige auf den Berg gemalte Schriftzug „Ciudad Juárez – la Biblia es la verdad leela“/„Ciudad Juárez – die Bibel ist die Wahrheit, lies sie“ hält die Bewohner*innen zum Bibellesen an. Ein ähnlicher Schriftzug um auf Feminizide (Frauenmorde) aufmerksam zu machen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die dafür verwendete Farbe schädlich für die Natur sei. Dennoch sehen wir an zahlreiche Stellen am Straßenrand der Landstraße stadtauswärts kleinere Parolen gegen die Frauenmorde. Von oben haben wir eine gute Aussicht über die Stadt, an diesem Morgen sieht es nebelig aus. Der Nebel stellt sich als Smog heraus, den die inzwischen zahlreichen maquilas (Industrieparks) auf Grund geringer Umweltauflagen verursachen.

Um uns vor Sonne und Mittagshitze zu schützen, fahren wir früh los und treffen auf der westlichen Bergkette Priscilla und ihren Vater Cristobal. Sie gehören den Nde (zu deutsch Mensch) an – auch bekannt unter der Fremdbezeichnung Apachen (Feind), einer Indigenen Nation der Region. Historisch lebten die Nde halbnomadisch, wobei der Aufenthaltsort mit den Jahreszeiten wechselte, im Winter war unser heutiger Treffpunkt, die Sierra Juárez ihr Lebensraum. Die Ernährung basierte neben Früchten und Samen auf Bisons und Wild. Das Jahr über wurden möglichst so viele Nahrungsmittel angesammelt, dass in den Wintermonaten von Dezember bis Februar wenig gearbeitet werden musste und verschiedene Festlichkeiten zelebriert werden konnten. Während Familien übers Jahr in Gruppengrößen von ca. 20-30 Personen zusammenlebten, kamen zu den Feierlichkeiten, die auf einer naturverbundenen Kosmovision basieren, viele Menschen zusammen.

Kämpfe innerhalb verschiedener in der Region lebender indigener Gruppen beschränkten sich auf Auseinandersetzungen um Wintervorräte. Die Kämpfe zwischen Nde und Spanischen Kolonisatoren und später mit mexikanischen Akteure hatte weitaus dramatischere Folgen:  Die Übermacht der Kolonialherren zwang die Nde dazu, sich in bergige Regionen zurückziehen und rassistische mexikanische Gesetze gipfelten in Vorgaben zu Kopfgeldern für jede*n toten Nde. Diese Kopfgelder existierten bis in die 1960er Jahre, die entsprechende Gesetzesregelung wurde erst in den 1990er Jahren abgeschafft. Viele Nde-Familien verheimlichten infolgedessen ihre Identität; Traditionen und Wissen gingen verloren, so dass heute sprechen nur noch etwa 20 Nde ihre indigene Sprache sprechen können.

Seit 2019 gibt es von Überlebenden Bemühungen um die offizielle Anerkennung der Nde als Indigene Nation, die im August 2024 erreicht wurde. Seit den 1980er Jahren engagieren sich viele Nde für unterschiedliche Rechte gegen anhaltende Diskriminierung. Im ihrem umweltpolitischen Aktivismus zeigt sich die traditionelle Naturverbundenheit der Nde. Sie engagieren sich für den Lebensraum der fast gänzlich ausgerotteten Bison, die zusätzlich durch den Bau der Grenzmauer eingeschränkt werden. Mineralien wie Kupfer und Gold in den Bergen werden von meist ausländischen Firmen in den Bergen ausgebeutet; der massive Einsatz von Chemikalien und der knappen Ressource Wasser hat fatale Auswirkungen auf die Umwelt. Schutz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen werden umgangen, nicht selten passieren Unfälle. Staudämme und Kanäle in den USA verstoßen gegen indigene Rechte und führen zu ausgetrockneten Flussbetten im Río Bravo und zerstören so Ökosysteme. Das meiste Land, was zum dem traditionellen Gebiet der Nde gehörte, wurde privatisiert und gehört nun  wenigen, einflussreichen Familien in Ciudad Juárez, deren Vorfahren an der gewaltsamen Verfolgung der Nde beteiligt waren und die die daraus resultierenden heutigen Besitz- und Machtstrukturen aufrechterhalten wollen. Die wenigen in öffentlicher Hand verbliebenen Ländereien sollen teilweise kostenlos für Projekte wie den Bau eines Tagungszentrums kostenlos zur Verfügung gestellt werden, durch das Privatunternehmen kostenpflichtige Freizeitangebote schaffen. Selbst um zu unserem Treffpunkt zu kommen, mussten Priscilla und Cristobal Eintritt bezahlen; 50 Pesos, die jedem Auto für den Besuch berechnet werden. Priscilla muss nach dem Treffen gleich zum Flughafen, denn am nächsten Tag wird Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum vereidigt, wozu Repräsentantinnen aller Indigenen eingeladen sind. Priscilla hat jedoch nicht vor, sich dankbar zu zeigen; sie hat statt dessen einige politische Forderungen im Gepäck, um auf die fortbestehenden Ungerechtigkeiten und aktuellen Missstände aufmerksam zu machen.

Unsere Reisegruppe erkundet im Anschluss an das Gespräch das Naherholungsgebiet, werden von einem Jogger überholt und kommen an zwei Mountainbike-Routen vorbei. Wir wandern bis zur Drachenhöhle. Dort sind Karabiner zum Klettern in die Wände gehauen. Und wir sehen die Wüste im Tal, den ehemaligen Lebensraum der Bisons und die Grenze zu den USA.

Mexiko 2024 #3: Auf in die Berge – Sierra de Juárez

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