Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2024
Von Manuel
Am dritten Tag unserer Reise besuchten wir das Menschenrechtszentrum Derechos Humanos Integrales en Acción (DHIA). Dabei handelt es sich um eine NGO in Ciudad Juárez, in der rund 40 Personen hauptamtlich arbeiten und die über einen Konferenzraum sowie verschiedene Beratungs- und Schulungsräume verfügt. Zum Teil wird die Arbeit in den Räumlichkeiten vor Ort und teils in den entsprechenden Stadtteilen oder Migrant*innenherbergen durchgeführt. Empfangen wurden wir von der stellvertretenden Präsidentin, der Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit, einer Menschenrechtsanwältin sowie einer Psychologin. Die vier Frauen gaben uns einen umfassenden und enorm eindrucksvoll geschilderten Überblick über die Arbeit des DHIA und machten uns mit der bedrückenden Realität vulnerabler Personengruppen in der Grenzregion um Ciudad Juárez und im Bundesstaat Chihuahua vertraut. Insbesondere spielten die Themen Entführung und Erpressung von Geflüchteten sowie sexualisierte Gewalt gegen Frauen eine zentrale Rolle. Im Folgenden werden einige der berichteten Fakten rekapituliert, wobei die Vielschichtigkeit der Gesamtzusammenhänge sicher zu kurz kommt.
Entführung und Erpressung von Menschen auf der Flucht
Weit davon entfernt sich nur auf den Drogenhandel zu beschränken, hat sich das Betätigungsfeld der organisierten Kriminalität in Mexiko in den vergangenen 10 bis 15 Jahren erheblich diversifiziert. In der Grenzregion bedeutet dies, dass insbesondere die Menschen in Mobilität, wie sie auf Spanisch genannt werden, in den Fokus der Kartelle geraten sind. Die Vertreterinnen des DHIA berichten uns von organisierten Strukturen, bei denen Migrant:innen im großen Stil entführt und in sogenannte ‚save houses‘ gebracht werden. Dort werden sie dazu gezwungen, Verwandte oder Freund:innen zu kontaktieren, um umgerechnet zwischen 2000 und 3000 US-Dollar Lösegeld zu erpressen. Gehen die Zahlungen, die oft über PayPal abgewickelt werden, nicht schnell genug ein, werden die Menschen vor laufender Kamera erniedrigt und gefoltert und die entsprechenden Videos an ihre Vertrauenspersonen geschickt, um die Zahlungsbereitschaft zu erzwingen. Wenn uns an diesem Punkt der Berichte bereits die geschilderte Brutalität und Skrupellosigkeit der Kartelle erschüttert, bekommen die Erfahrungen der Migrant:innen noch eine weitere zu tiefst verstörende Dimension, als die Vertreterinnen des DHIA folgendes berichten: Im Nachbarstaat von Chihuahua, in Durango, gibt es Beweise dafür, dass diese Entführungen von Einheiten der Bundespolizei durchgeführt werden. Das bedeutet, dass die Polizei in Durango Migrant*innen unter dem Deckmantel staatlicher Exekutivgewalt verhaftet und sie an die Kartelle zum Zweck der Folterung und Erpressung verkauft. Dieses Beispiel vermittelt einen plastischen Eindruck davon, auf welche Weise und mit welcher Intensität in Mexiko staatliche Institutionen wie Polizei und Militär in massivste Menschenrechtsverletzungen und das organisierte Verbrechen verstrickt sind. Die Vertreterinnen des DHIA berichten uns von der psychologischen und juristischen Unterstützung, die sie den Menschen zu Teil werden lassen, die Opfer solcher Praktiken geworden sind.
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen
Während Migrant*innen bereits zu den vulnerabelsten Personen in der Grenzregion zählen, muss diese Gruppe jedoch weiter differenziert werden. Insbesondere Frauen sehen sich auf den Fluchtrouten oft extremer sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Manche von ihnen fallen dem verbreiteten gewaltsamen Verschwindenlassen zum Opfer und tauchen entweder überhaupt nicht mehr bzw. erst als verstümmelte Leiche wieder auf; andere werden zur Prostitution gezwungen. Darüber hinaus berichten viele migrierte Frauen von Vergewaltigungen sowie von weiteren Formen sexueller Übergriffe. Sie erreichen Ciudad Juárez schwer traumatisiert, nach teils monatelanger Flucht. Nach ihrer Ankunft müssen sie sehr lange auf einen Termin im US-amerikanischen Konsulat warten und haben zum ersten Mal Zeit, zur Ruhe zu kommen. Die erlittenen Gewalterfahrungen kommen dementsprechend häufig erst hier wieder an die Oberfläche, so dass in vielen Fällen eine traumatherapeutische Begleitung erforderlich ist. Das DHIA bietet solche Unterstützung und begleitet die betroffenen Frauen in diesem Prozess der Verarbeitung sowie einer möglichen juristischen Aufarbeitung der Vorfälle.