Aus dem Blog unserer Reise nach Mexiko 2024
Von Manuel
Am Dienstag unserer zweiten Woche in Chihuahua überquerten wir gemeinsam die Grenze in die USA und besuchten eine NGO mit dem Namen No Más Muertes (No More Deads), die in El Paso ansässig ist. In dieser Organisation haben sich Freiwillige mit dem Ziel zusammengefunden, die schlimmsten Auswirkungen des US-amerikanischen Grenzregimes nach Möglichkeit zu verhindern. Wie der Name bereits erkennen lässt, geht es in allererster Linie darum zu vermeiden, dass noch mehr Menschen als ohnehin der Fall beim Grenzübertritt zu Tode kommen.
Nach unserem Eintreffen wurden wir von drei Aktivisten empfangen, die uns zunächst einen ebenso informativen wie bedrückenden Vortrag über die Gesamtsituation hielten. Sie erklärten uns, dass der hiesige Grenzabschnitt eine Art Dreiländereck zwischen den Bundesstaaten Chihuahua auf mexikanischer Seite und New Mexico und Texas auf Seiten der USA bildet – mit dem Berg Cristo Rey als geographischem Mittelpunkt. Cristo Rey ist eine extrem bergige Wüstenregion, die, anders als andere Abschnitte, nicht durch physische Barrieren oder Grenzbefestigungen gesichert ist. Stattdessen übernehmen das Gebirge und die Wüste diese Aufgabe. Da es hier im Sommer gut und gerne bis zu 50 Grad Celsius oder mehr im Schatten heiß werden kann, sehen sich die Menschen, die sich auf ihrer Fluchtroute durch diesen wenig befestigten Grenzabschnitt bewegen, einem enormen Risiko der Dehydrierung ausgesetzt. Alleine dieses Jahr und nur in diesem Abschnitt, so hörten wir schockiert, sind in unmittelbarer Nähe rund 170 Menschen verdurstet.
Nach diesen eindrücklichen Schilderungen über die Situation vor Ort entschieden wir uns, trotz des Hinweises uns in eine juristische Grauzone zu begeben, die Aktivisten bei ihrem täglichen Ausflug in die Berge zu begleiten. Wir rüsteten uns mit jeder Menge Trinkwasser und fuhren zu einem am Fuße des Cristo Rey gelegenen Parkplatz. Nach nur wenigen Minuten begegneten wir dem ersten Pickup der Customs and Border Protection (CBP), der US-amerikanischen Grenzpolizei und wurden sogleich misstrauisch beäugt. Im weiteren Verlauf des Nachmittags wurden wir mehrfach von Vertreter*innen dieser militärisch hochgerüsteten Grenzschutzbehörde danach befragt, was wir an diesem Ort tun und wo wir hin wollten. Die gesamte Szenerie bekam nicht zuletzt dadurch etwas Surreales, da es sich bei dieser Region nicht nur um eine Fluchtroute, sondern gleichzeitig um ein beliebtes Naherholungsgebiet für Kletterfreund*innen und Mountainbiker*innen handelt. Ein Umstand, den wir uns gegenüber der CBP zu Nutze machten, indem wir vorgaben, lediglich eine Wanderung zu unternehmen – freilich mit der Hoffnung, dass man uns seitens der CBP nicht auffordern würde, unsere Rucksäcke zu öffnen.
Am Ende des Tages blieben die meisten von uns mit zu tiefst widersprüchlichen Gefühlen zurück. Eine derart vorsätzliche Unmenschlichkeit unter den Augen technisch-militärisch aufgerüsteter Überwachung, gepaart mit dem eigenartigen Fremdheitsgefühl als Europäer*in dort völlig unbehelligt durch die Gegend schlendern zu können, ließ uns den verstörenden Zynismus des Grenzregimes am eigenen Leib spüren.