19. September bis 3. Oktober 2003
Wo ein Staat ist, kann der Nationalismus nicht weit sein. So auch in Rumänien. Und das Land ist ziemlich berüchtigt dafür: Im zweiten Weltkrieg unter Marschall Antonescu Achsenmacht an der Seite der Nazis, hatte die sozialistische rumänische Regierung es schon Mitte der Fünfziger geschafft, sich der sowjetischen Bruderarmeen zu entledigen und ein eigenes Spiel zu spielen. So autonom gegenüber der Sowjetunion wie möglich, hieß das Projekt „nationaler Kommunismus“, und bei diesem Begriff muss man zu Recht schlucken. Mit viel nationalistischem Tamtam wurde die Eigenständigkeit gefeiert, schließlich ist man ja ein romanisches Land und stammt direkt von den Römern ab und muss sich nicht von den Slawen bestimmen lassen. Auch nach dem blutigen Umsturz 1989 blieb es im großen und ganzen bei der Linie, zwar weniger außenpolitisch, aber dafür reichlich propagandistisch nach innen. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000, nach einer gescheiterten bürgerlichen Reformregierung, kam es zur Chirac-Le Pen-Situation: Im zweiten Wahlgang standen sich der Präsident von 1990 bis 1996, Ion Iliescu, ein ehemaliger KP-Apparatschik der zweiten Reihe, und der ehemalige Hofdichter Ceaucescus, Vadim Tudor, Chef der Großrumänienpartei (Romania Mare) und glühender Antisemit, gegenüber. Iliescu, vom autoritären Schmuddelkind zur demokratischen Hoffnung gewandelt, gewann mit nur 67% gegen Tudor, der in jeder Rede erst mal alles Böse bei Juden, Roma, Ausländern, Ungarn und anderen Nichtrumänen sucht und findet. Wie sind Leute drauf, bei denen solche Propaganda packt, und welche gesellschaftlichen Zustände stehen dahinter?
Doch aus Deutschland sollte man sich mit Belehrungen zurückhalten. Deshalb wollen wir lieber versuchen, die Verhältnisse und ihre Hintergründe zu erkunden. Vier thematische Schwerpunkte haben wir uns dazu vorgenommen:
1. Das Antonescu-Regime
Nach 1989, nach dem Sturz des Ceaucescu-Regimes, wandten viele den Blick zurück auf die mythisch verklärte Zeit vor 1945. Die faschistischen Machthaber unter Marschall Antonescu (1940-1944) wurden nach 1945 marginalisiert und dienen heute wieder als Identifikationsfiguren. An den Deportationen in die nationalsozialistischen Vernichtungslager hat sich Rumänien nicht beteiligt; die mehr als 400.000 jüdischen Opfer wurden bei der von Rumänien selbst erledigten Deportation nach Transnistrien umgebracht. Im Nachhinein wird dies als die „Rettung der Juden“ verkauft. So wurden nach 1989 zentrale Straßen in vielen Städten nach Antonescu benannt. Erst nach internationalem Druck wurden sie Mitte der 90er Jahre fast alle erneut, teils widerwillig, umbenannt – die Kritik an Antonescu wurde aber vielfach als antirumänisch abgekanzelt. In den letzten Jahren tobt ein Historikerstreit um die Bewertung des Antonescu-Regimes, in dem die kritische Position es schwer hat. Wir wollen ergründen, woher dieser Antonescu-Kult kommt und worin er besteht und uns zu diesem Thema auch mit der Bukarester Historikerin Lya Benjamin unterhalten, einer der wichtigsten Kritikerinnen.
2. Der „Nationale Kommunismus“ von Nicolae Ceaucescu
Der „Nationale Kommunismus“ in Rumänien unter Ceaucescu war eine besonders autoritäre Variante des Staatskapitalismus. Führerkult, Autoritarismus, brutale Bevölkerungspolitik mit Abtreibungs- und Verhütungsverbot, Nationalismus, die Erhabenheit des rumänischen Volks, Rassismus und der grandiose Überwachungsapparat der Securitate kennzeichnen diese Epoche. Wie prägt diese Zeit die heutige rumänische Gesellschaft?
3. Kritischer Geist heute
Auffällig ist, dass kritische Initiativen und Organisationen in Rumänien ziemlich unauffällig sind. Gibt es tatsächlich so wenige Gruppen und Initiativen in Rumänien, wie es scheint? Und wenn ja, wie lässt sich dies erklären? Wie hängen mögliche Ursachen zusammen? Welche Rolle spielt die ökonomische Misere? Und: Nicht einmal eine Revolution kapitalismuswilliger DemokratInnen hat es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Osteuropas in Rumänien gegeben – die Macht wurde von der zweiten Reihe hinter Ceaucescu übernommen, Leuten um Ion Iliescu, die sich kurzerhand zu demokratischen Revolutionären erklärten und fortan Reformen nur machten, wo das internationale Ansehen oder die angestrebte EU-Mitgliedschaft dies erforderte. Die Regierenden hatten in den Anfangsjahren wenig Anlass, unbequeme KritikerInnen zu ermutigen, wie dies in bürgerbewegteren Transformationsländern der Fall war, so dass es auch heute nur wenige potentielle Nörgler gibt.
4. Jüdisches Leben in Rumänien
Gab es in Rumänien einstmals eine große jüdische Gemeinde, so sind heute gerade noch 12.000 Jüdinnen und Juden übrig. Wer den Holocaust überlebt hatte, wanderte in den folgenden Jahrzehnten aus oder versuchte seine jüdische Identität vergessen zu machen – man konnte nie wissen, ob es nicht doch wieder losgeht. In den letzten zehn Jahren jedoch wurde einiges an jüdischem Leben aufgebaut.
Gemeinsam mit unserer Partnerorganisation, jungen AktivistInnen der Bukarester jüdischen Gemeinde und der Jewish Agency for Israel, die uns im letzten Jahr in Berlin besucht haben, wollen wir diesen Fragen nachgehen und uns Zeit für Diskussionen nehmen. Zudem werden wir eine Reihe Gruppen und Organisationen treffen – Menschenrechtsgruppen, Roma-Initiativen, Frauenorganisationen, kritische Intellektuelle. Darüber hinaus möchten wir auch unsere Kritik an den Verhältnissen in Deutschland mit unseren PartnerInnen diskutieren, beispielsweise Antisemitismus in Deutschland, die Rezeption des Nahostkonflikts oder andere Themen. Das hängt vom Interesse der Gruppe, die schließlich nach Rumänien fahren wird, und vom Interesse unserer GastgeberInnen ab.
Die Fahrt wird voraussichtlich nach Timisoara oder in eine Großstadt Transsylvaniens (Siebenbürgen) sowie definitiv nach Bukarest gehen. Die Unterbringung in Bukarest wird in einem schönen Hostel nahe der Innenstadt sein. Wer möchte, kann die Reise auf eigene Faust und eigene Kosten gerne verlängern – ob zurück nach Transsylvanien oder an die Schwarzmeerküste – Rumänien ist ein angenehmes und unkompliziertes Reiseland.
TeamerInnen: Stella und Michael
Informationen und Anmeldung: iak@politisch-reisen.org