Ist von der Reisedestination Indien die Rede, wird reflexartig mit einer „verwirrenden kulturellen Vielfalt“ geworben oder „exotischen Gegensätzen“ auf der „farbenfrohen Halbinsel“ und der „Allgegenwärtigkeit“ von Tempelfesten, Räucherstäbchen, Yoga, „authentischen“ Ayurveda-Kuren und den leuchtenden Geschäftstürmen neuer Satelitenstädte. Das künstliche Bild erscheint für Beobachter_innen vor Ort hingegen abgehoben von den innenpolitischen Realitäten. Indien befindet sich in einem Prozess rasanter ökonomischer und gesellschaftlicher Modernisierung. Mit (noch immer) hohen durchschnittlichen Wachstumsraten zählt das Land zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften und wird, so sehen es heute politische Beobachter und Wirtschaftsinstitute, international in den kommenden Jahren politisch und ökonomisch weiter an Bedeutung gewinnen. Von diesen Entwicklungen profitieren jedoch hauptsächlich ein wachsender Mittelstand, eine alteingesessene Elite und mächtige Familiendynastien, die westlichen Lebensstil und Konsumorientierung mit indischem Selbstbewusstsein zu verbinden wissen.
Besonders die Proteste und Debatten nach der Vergewaltigung und Ermordung der Studentin Jyoti Singh Pandey am 16. Dezember 2012 in Delhi, der Widerstand der Bevölkerung gegen den Bau von großindustriellen Projekten oder die Korruption haben der westlichen Öffentlichkeit zuletzt aber auch vor Augen geführt, dass es in Indien eine kraftvolle Zivilgesellschaft gibt, die ihr Recht auf Mitgestaltung an Institutionen und Strukturen, die ihr Leben bestimmen, einfordern. Ihre Hauptanliegen sind eine ausreichende Gesundheitsversorgung und Wohnraum, dauerhafte Lebensgrundlagen und Arbeit, der Zugang zu formaler Bildung, eine neue Umweltschutzpolitik und die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte und bürgerlichen Freiheiten.
Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen und politische Netzwerke widersetzten sich aber nicht nur dem ungehemmten und einseitig auf Wirtschaftswachstum basierenden Modernisierungsweg, sondern versuchen Alternativen aufzuzeigen und diese kontinuierlich weiter zu entwickeln.
Dieses „andere Indien“ ist zwar weit davon entfernt hegemonial zu werden, aber schon heute sind andere Formen des Wirtschaftens, des Miteinanders und der Basisorganisation sicht- und erlebbar.
Auf der Reise wollen wir Ansätze kleiner Transformationen und Übergänge kennenlernen und uns mit aktuellen Handlungsfeldern, Themen und sozialen Abwehrkämpfen in Indien beschäftigen.
Wir werden Menschen treffen, die in sozialen Bewegungen aktiv sind und an konkreten Projekten arbeiten. Uns wird dabei auch die Frage interessieren, welche Ereignisse bestimmend sind, dass sich Menschen entscheiden politisch und sozial gegen Fremdbestimmung und ausbeuterische Verhältnisse aktiv zu werden und ihre engen familiären und gesellschaftlichen Grenzen zu überwinden.
Die Ansätze kleiner Transformationen und Übergänge in Indien sehen wir als Ansatzpunkt für eine Solidaritätsperspektive und mögliche Anschlussfähigkeit an Diskussionen und Praxen, hier etwa die um eine sozioökologische Transformation, Solidarische Ökonomie, Aufbau genossenschaftlicher Strukturen, Zugang zu Commons, Ernährungssouveränität oder der Frage, wie ist es möglich ist, demokratisierende und gerechte Strukturen für eine solche Transformation zu schaffen.
Die Reise kann nicht mehr als einen kleinen Einblick über die aktuellen Debatten und die konkrete Praxis indischer Bewegungen und alternativer Projekte vermitteln. Während und nach der Reise sollen Zeiten für gemeinsame Reflexionen eingeplant werden was hat überzeugt und wie wollen sich die Reiseteilnehmer_innen weiter mit den sozialen Bewegungen in Indien auseinandersetzen.
Dazu soll in der Vorbereitung auch überlegt werden, was die Reisenden von hier aus den indischen Gastgeber_innen „mitbringen“ und wie eine geglückte Reise für beide Seiten aussehen kann.
Wir werden auf der Reise in drei Bundesstaaten im Süden Indiens Station machen. Als Partnerorganisation haben wir indisches Netzwerk sozialer Bewegungen gewinnen können.
Neben den Projektbesuchen und den Gruppenreflexionen wird es auch freie Reiseabschnitte geben, deren Gestaltung von den Teilnehmer_innen festgelegt werden kann. Die Mitarbeit an Vorbereitungstreffen ist erwünscht.
Reisetermin: 12. Januar 2015 – 2. Februar 2015
Anmeldeschluss: 07.11.2014
Kosten ca. 1.600-1.700 €
Anmeldung: Alle Plätze sind bereits vergeben, weitere Anmeldungen sind deshalb leider nicht möglich.
Bildungsurlaub: Die Reise ist nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz als Bildungsurlaub anerkannt. Eine Anerkennung in weiteren Bundesländern ist damit meist unkompliziert, hängt aber von den dortigen Richtlinien ab.
Weitere Informationen: juergen@iak-net.de
Was Basisorganisationen in Indien bewirken können