20. August – 2. September 2002 in Bischkek
Durch den Krieg gegen die Taliban ist Zentralasien stärker in die internationale Aufmerksamkeit gerückt. Mit dem Zerfall der Sowjetunion ist eine neue historische Situation entstanden: Die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan stehen mitten in einer Zerreißprobe zwischen sowjetischem Erbe einerseits, der Formierung nationalstaatlicher Identitäten, einer Renaissance religiöser und ethnischer Traditionen andererseits – und schließlich dem Wunsch, den Anschluss an den Westen vermittelt über den Weltmarkt zu finden. Kirgisien steht in vielem beispielhaft für die Entwicklung in Zentralasien und hat eine Vorreiterfunktion inne. Seit 1991 ist die mittelasiatische Region „Kirgisien“ zum ersten Mal in der Geschichte ein eigenständiger Nationalstaat. Das Land hat sich verhältnismäßig früh eigenständig von der Sowjetunion erklärt und unmittelbar die staatliche Wirtschaftsplanung abgeschafft. Die Titularnation der Kirgisen macht gerade 50 Prozent der Bevölkerung aus. Aus der Sicht westlicher Regierungen werden Kirgisien die besten Chancen unter den ziemlich chancenlosen zentralasiatischen Republiken eingeräumt, einen Übergang zur Marktwirtschaft und Demokratie zu vollziehen. In der Seminarreise soll genauer auf die aktuelle gesellschaftliche, ökonomische und politische Situation in Kirgisien – auch im Verhältnis zu den anderen zentralasiatischen Republiken – eingegangen werden. Einen Teil dieser Seminarreise werden gemeinsame Treffen und Seminartage mit unserer Partnerorganisation und verschiedenen politischen Organisationen ausmachen, wie z.B. „Institute for War and Peace Reporting“, „Initiative-Center“, „Union of Councils for Soviet Jews“, verschiedenen Frauen-NGOs und Vertretern der Medienlandschaft Kirgisistans, sowie Gespräche mit Vertretern der Parteien.
Die Themen der Seminarreise:
Das Sowjetische Erbe
Die Sowjetunion präsentierte Zentralasien in den sechziger Jahren als ein „Schaufenster „zur „Dritten Welt“, in dem der Erfolg des Entwicklungsweges einer außereuropäischen Gesellschaft zum Sozialismus dargestellt werden sollte. Der angebliche Erfolg der sozioökonomischen Transformation der Stalinschen Reformen von oben, die für asiatische Gesellschaften insbesondere eine Revolution von „außen“ war, schlug sich tatsächlich in der Bildungsentwicklung, Alphabetisierung und sozialen Infrastruktur nieder. Wie wollen erkunden, wie die Sowjetzeit postum rezipiert wird und welche Spuren sie hinterlassen hat.
Autoritarismus und ethnischer Separatismus
Bevor der sowjetische Sozialismus sich als Herrschaftsform durchsetzte, dominierten in Zentralasien über Jahrhunderte traditionelle Herrschaftsstrukturen. Heute haben sich autoritäre Präsidialregime durchgesetzt, die versuchen, formaldemokratische Systeme zu implantieren und den ethnischen Separatismus zu stoppen. Das präsidial-autoritäre Kirgisien wirkt dabei im Verhältnis zu seinen Nachbarn immer noch als „Insel der Demokratie“. Wir wollen zusammen mit unseren Partnerorganisationen, NGOs und Vertretern der Medienlandschaft die politischen Verhältnisse analysieren und diskutieren.
Frauen in Zentralasien
Schon zu Sowjetzeiten standen Frauen in Zentralasien zwischen der traditionellen Rolle und der öffentlich propagierten Emanzipation innerhalb der sozialistischen Gesellschaft. Seit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten hat sich die Situation verändert. Während (wieder) Frauen – auch unter Hinweis auf religiöse Begründungen – allein auf ihre Funktion für die Familie festgelegt werden, sind neue Problemfelder hinzugekommen. Zwangseheschließungen, Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt, gewaltförmige Prostitution und Frauenhandel waren für Frauen in der Sowjetzeit so nicht präsent. Wir wollen verschiedene NGOs treffen, die sich für Frauen engagieren und auf unterschiedlichsten Gebieten die Anliegen von Frauen unterstützen.
Der Islam in Zentralasien
Zentralasien ist die größte der historischen Muslimregionen unter sowjetischer Herrschaft. Der Islam tritt in Zentralasien in durchaus verschiedenen Varianten auf. Sie reichen von einem reformorientierten, zur Anpassung an die nationalistischen Regime bereiten Djadidismus bis zu islamistischen Strömungen. Wie ist der Zusammenhang zwischen Nationalismus und Islamismus historisch und unter den aktuellen Bedingungen zu verstehen? Wie kann der Einfluss der islamistischen Kräfte beurteilt werden?
Kirgisien und der Afghanistankrieg
Angesichts der Aktualität und der regionalen Nähe soll auch der Krieg gegen die Taliban in Afghanistan Thema der Reise und der Diskussionen mit unseren Gesprächspartnern sein. Spätestens mit der Erlaubnis zur Stationierung us-amerikanischer Truppen für den Krieg gegen die Taliban spielte Kirgisien eine bedeutende Rolle. Uns interessiert, wieso die Stationierung der US-Truppen in Kirgisien zu größeren öffentlichen Protesten geführt hat als der Krieg selbst.
Teamer: Michael Schulte, Timo Reinfrank, Kris Maschewsky
Der Teilnahmebeitrag beträgt voraussichtlich zwischen 650 und 750 Euro. Darin sind Vor- und Nachbereitung, Flug, Unterkunft und Transport in Kirgisien enthalten.
Informationen, Interessebekundung und Anmeldungen an: kirgistan@iak-net.de